Mit der Diagnose Krebs bekommt man ordentlich zu tun. Noch bei unserem ersten Treffen scheucht mich Doc Huhn zur Magnetresonanztomographie (MRT), um über Magnetfelder meinen Körper nach Metastasen abzusuchen. In der Radiologie lege ich mich, nackt bis auf die Unterhose und ein vorne offenes Flügelhemdchen, bäuchlings auf eine Liege, die dann in die Röhre fährt. Dabei bietet die Liege nicht nur eine Öffnung fürs Gesicht, damit man bei potenziellen Panikattacken überhaupt noch Luft bekommt, sondern auch zwei kleinere Öffnungen auf Brusthöhe, durch die – richtig – die Brüste baumeln. Als Krönung werden diese zusätzlich zwischen Plexiglasscheiben fixiert, vermutlich auch, damit sie bei dem Höllenlärm, Geruckel und Gewummer der nun einsetzenden Großbaustelle schön stillhalten und so vorteilhaft wie möglich abgelichtet werden können. Nach zwanzig Minuten in dieser unwürdigen Haltung bei kakophonischer Beschallung wanke ich im Flügelhemdchen verstört zurück in die Umkleide, ziehe mich an und lasse mich von Chéri ins sichere Zuhause chauffieren.
Date in der KRÖNA-Klinik
Ein paar Tage später geht es ins CT. Als erstes verlaufe ich mich im Labyrinth der KRÖNA-Klinik, komme zu spät und werde von der diensthabenden MTA barsch zurechtgewiesen. Als sie mir das Kontrastmittel in meine lädierten Venen spritzt, platzt ein Blutgefäß. Es tut einigermaßen weh und ich breche ob der Gesamtsituation in Tränen aus. Die MTA schaut mich verständnislos an und meint: „Das ist doch nur ein Blutgefäß, das ist nicht schlimm.“ Beim CT selbst gibt es einen metallischen Geschmack auf der Zunge, und meine Blase wird plötzlich so warm, dass ich fürchte, in die Hose gemacht zu haben. Ma Baker holt und rettet mich mit Himbeertorte, und ich gelobe, beim nächsten Date in der KRÖNA-Klinik deutlich mehr Zeit einzuplanen.
Richtig aufregend wird es in der Nuklearmedizin, deren Name an sich schon Abenteuer und Adrenalin verspricht. Dort soll mithilfe eines Knochenszintigramms ermittelt werden, ob sich Metastasen in meinen Knochen niedergelassen haben (Spoiler: haben sie nicht). Bevor ich zu Hause aufbreche, meint Lotti: „Hey, voll cool – bring unbedingt ein Bild von Deinem Skelett mit!“
„Das ist mir noch nie passiert, ich schwöre!“
Für so ein Szintigramm bekommt man erst einmal eine Ladung radioaktives Kontrastmittel injiziert. Im Aufklärungsbogen befinden sich u.a. folgende Hinweise:
„Die Ausscheidung der Substanzen erfolgt über den Urin. Beschränken Sie am Untersuchungstag den Umgang mit Kindern und Schwangeren auf Notwendiges.
Am Untersuchungstag ist Ihr Urin radioaktiv. Sie sollten bei Toilettengängen vorsichtig sein, achten Sie auf Ihre Kleidung.“ [Was bedeutet das? Anmerk. d. Red.]
Die Injektion übernimmt eine sehr junge Ärztin, die offensichtlich bemerkt, wie hasig und weinerlich ich bin, und sogleich beruhigend auf mich einredet: „Kein Problem, da müssen Sie keine Angst haben, es wird alles gut!“ Ich klammere mich an ihre Worte und die Hoffnung, dass sie weiß, was sie tut. Zunächst weiß sie das auch, legt mir einen Zugang, holt die Spritze aus dem kleinen James-Bond-Metallköfferchen und legt los. Ich schaue weg, Spritzen kann ich nicht sehen. Plötzlich verliert die Ärztin die Nerven und schreit los: „Oh mein Gott! OH MEIN GOTT! Oh nein, das ist mir noch nie passiert, wirklich, ICH SCHWÖRE!!!“ Ich schaue zu meinem rechten Arm, aus dem kleine Blutfontänen spritzen, schnappe mir einen Wattebausch und halte den Zugang dicht, während die arme Frau kreideweiß die Hände ringt. Ich frage sie, was denn passiert sei. „Nichts“, sagt sie mit aufgerissenen Augen, „mit Ihnen ist alles in Ordnung!“ Sie beteuert nochmals, dass ihr sowas wirklich noch nie passiert sei („Ich schwöre!“), verklebt meinen Arm mit unzähligen Pflasterstreifen und verabschiedet mich hektisch.
„Ich hab‘ Uran im Urin“
Alarmiert und irritiert verlasse ich die Nuklearmedizin für eine dreistündige Pause, damit sich das Zeug in Ruhe in meinem Körper verteilen kann. Ich treffe Chéri auf ein Franzbrötchen und erzähle ihm die jüngste Horrorgeschichte, woraufhin er auf den passenden Achtziger-Jahre-Hit „Ich hab‘ Uran im Urin“ der Band Wiederwillen verweist.
Als ich später zur Nuklearmedizin zurückkehre, um mein Skelett-Foto zu machen, schlurft die arme junge Ärztin mit hängendem Kopf über den Campus. Ich frage sie, ob wieder alles in Ordnung sei. Sie schaut mich aus tiefen Augenhöhlen an und sagt leise: „Ich bin so müde.“ Ich hoffe nur, dass sie nicht auf dem Weg zur nächsten Schicht ist. Das Rätsel um den Vorfall kann ich nicht lösen, Ma Baker als ehemalige Schwester mutmaßt jedoch, dass die Gute womöglich radioaktives Zeug verläppert und damit den Raum kontaminiert habe, was ja in Kliniken nicht so gerne gesehen wird, und bringt so wenigstens ein bisschen Licht ins Dunkel.
Die Bildgebung selbst verläuft zwar verhältnismäßig ereignisarm, dennoch ist mein Nervenkostüm für diesen Tag derart zerrüttet, dass ich mich dringend mit dem Kauf einer Premium-Boombox belohnen muss, danach geht es mir deutlich besser. Ich beschalle die Wohnung mit meinen Lieblingsplaylists, und Hotti und Lotti sind blass vor Neid.
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