(2. Titel-© by Ma Baker)
Nach einer Woche Reha-Business steht Chéri vor der Kliniktür und hält Einzug in meine königlichen Gemächer. Da vier Tage Aktiv-Urlaub geplant sind, hat er sein E-Bike dabei, ich leihe mir eines im ortsansässigen Sportfachgeschäft, und so finden wir, wie einst im legendären Daisydorfer Radurlaub, auch im Schnallgäu das Glück dieser Erde auf dem Rücken unserer mittlerweile motorisierten Pferde.
Tag 1: Eggman
Als Warm-up steht eine Tour nach Schnösterreich auf dem Programm, immer schön an der Pregenzer Schmach entlang, bis zum Zielpunkt Eggman. Wir radeln entspannt an kneippenden Kühen vorbei und picknicken gemütlich, wo Schmach und Schweißach idyllisch ineinanderfließen. Während ich dieses faszinierende Naturschauspiel filme (s. Video), ruft die inzwischen von allen guten Geistern verlassene Lotti an und fragt, ob man unsere Auflaufform in die Spülmaschine stellen könne und wie man die wiederverwendbare Silikonabdeckhaube sauber bekomme.
Wir radeln weiter vor uns hin, es ist kaum jemand unterwegs, die Strecke ist beinahe ein bisschen öde, sodass Chéri innerlich bereits abenteuerlichere Alternativrouten in Erwägung zieht. Hinter der nächsten Kurve jedoch tut sich vor unseren Augen die Outdoor-Hölle auf: Eine kapitale Freizeitstätte samt Gastro, Zeltlager, Tischen, Bänken und künstlicher Kletterwand prangt direkt am Ufer der Pregenzer Schmach. Unzählige buntgekleidete Kanut*innen befahren den Fluss wie viele kleine Smarties, überall wuselt es vor kleinen und großen Menschen in wasserfesten Anzügen und Helmen, ein paar Meter weiter passieren wir den dazugehörigen Autoparkplatz. Die Landschaft ist beileibe nicht spektakulär, aber das hat sie wirklich nicht verdient.
Schließlich erreichen wir Eggman selbst, überbrücken dort ein halbstündiges Unwetter in Tante Trudes Schwimmbad-Café mit Apfelstrudel, Eis und Sahne und brechen von dort direkt auf zur Kässpatzengaudi in der Schneckecker Katzenmühle, ist ja Urlaub. Dort verfolgt man im Übrigen das Prinzip der Mitmachgastronomie: Man holt sich nicht nur die Getränke selbst aus dem Kühlschrank, sondern macht auch eigenständig die gesamte Abrechnung – Blöckchen, Stifte, Taschenrechner und Lesebrillen liegen als Hilfsmittel bereit.
Abends verliest Chéri noch unsere Strecken-Statistik, danach sinken wir in einen seligen Schlummer.
Tag 2: Schwangen
An Tag 2 kristallisiert sich eine glasklare Aufgabenverteilung heraus: Chéri übernimmt das Ressort Routenplanung, ich als kulturelle liefere die entsprechenden Hintergrundinformationen zu Events, Gastro und Botanik. Heute geht es ins beschauliche Städtchen Schwangen. Allerdings nicht auf gewöhnlichen Radwegen, nein, Chéri hat sich etwas ganz Besonderes einfallen lassen und schickt uns durch die Wälder. So schieben wir unsere E-Pferdchen über Stock und Stein auf Trails, die erfahrenen Downhiller*innen die Freudentränen in die Augen treiben würden, bremsen uns die Finger wund und bleiben alle naselang stehen, weil Chéri die Route auf dem Handy überprüfen muss.
Als sich das gleiche Prozedere auch auf der Rückfahrt abzeichnet, ziehe ich ihm die Ohren lang, zumal er nunmehr ausschließlich mit seinem Handy kommuniziert. Für ihn kommt der Ausbruch recht überraschend, wo er doch nur die beste Streckenführung für uns im Sinne hatte, aber ich bestehe auf geteerten Wegen und zwischenmenschlicher Konversation. Also schieben wir die letzten Meter schweigend im unwegsamen Gelände, bis wir ein Pärchen überholen, dessen Störfeld offensichtlich noch größer ist als unseres, und endlich den Weg zurück in die Zivilisation und Kommunikation finden.
Schwangen selbst ist übrigens ganz nett (s. Galerie).
Tag 3: Blindenberg
Tag 3 beginnt für uns im Pflegezimmer: Chéri hat sich im Wald fünf Zecken eingehandelt, ich habe vom Bremsen geplatzte Blutgefäße im rechten Mittelfinger. War Chéri anfangs noch irritiert über jeden weißen Kittel, der ihm im hiesigen Hotelflur über den Weg lief, erschließt sich ihm das ärztliche Angebot nun sonnenklar.
Danach packen wir die Satteltaschen und reiten nach Blindenberg, erstehen auf dem Wochenmarkt Fischbrötchen sowie eine Gießkanne und verbringen den restlichen Tag am Moorsee, wo die Badegäste eine einträchtige Solidargemeinschaft mit den seeansässigen Enten bilden.
Im klinikeigenen Raucherpavillon hat Chéri mittlerweile neue Freundschaften geschlossen.
Tag 4: Zimmer 249
An Tag 4 wacht Chéri auf, hat Rücken und findet sich routiniert im Pflegezimmer ein. Wir streichen unsere ursprünglich geplante und bislang ehrgeizigste Tour nach Schimmelstadt, bleiben im Zimmer und müssen bezüglich unserer Aktivitäten insgesamt leider einen massiven Abwärtstrend vom schnösterreichischen Outback zum Schneckecker Therapiebecken verzeichnen.
Tag 5 bis Ende
Chéri reist ab und hinterlässt mir wegen Rücken sein E-Bike, und ich gleite entspannt zurück in das Rundumsorglospaket meines sehr überschaubaren Therapiealltags. Die Raucherfreund*innen erkundigen sich später ergriffen nach Chéris Befinden. Eine meint: „Ich dachte ja, das wird nichts mehr.“
Am folgenden Wochenende hole ich die geplatzte Tour nach Schimmelstadt alleine nach und merke plötzlich: Es hat sich ausgeschneckt – der Alltag kann kommen!