School’s out oder: Habemus Abi II

Drei Jahre ist es her, dass über dem Hause aktuelle weißer Rauch aufstieg und die Erstgeborene Hotti unter widrigsten Umständen ihr bravouröses Abitur absolvierte. Nun ist es wieder soweit: Lotti legt ihre Reifeprüfung ab, brilliert ebenfalls und wir beenden final das Kapitel Schule. Das geht nicht ganz spannungslos über die Bühne, aber am Ende sind wir alle glücklich.

Mutter-Service 24/7

Im Februar begeben wir uns in den Tunnel. Auftaktveranstaltung ist die Kommunikationsprüfung, gefolgt von einem nicht enden wollenden Klausurenmarathon. An den Wochenenden verschwinden Lotti und ihre Gang fortan abwechselnd zum Lernen in die Uni-Bibliothek oder zum Proben ins Cannelloni-Zirkuszelt. Das Stresslevel steigt, die Stimmung und das Aprilwetter überbieten sich im Kapriolenschlagen.

Als Mutter aus dem Bilderbuch ertrage ich Lottis Launen selbstredend stoisch und unterstütze nach Kräften. Ich leihe dem strapazierten Kind meine von uns beiden favorisierte Jogginghose und versorge es täglich mit Mandelhörnchen vom Bäcker Schiffer. Ich feuere Lotti an, wenn sie in die Knie zu gehen droht, und feiere sie ab, wenn sie in Sport beim Shuffle Dance zu einem der übelsten Modern-Talking-Hits ever die volle Punktzahl abkassiert. Immer wieder lausche ich ergriffen den Aufzählungen der deutschen Bundeskanzler*innen wie auch ihren Klagen über das aktuelle Arbeitspensum.

„Kann ich das noch essen?“

Gelassen nehme ich Lottis exzessive Badezimmer-Orgien hin, wenn es nur ihrer mentalen Stabilisierung und Sammlung dient, und weiche elegant aus, wenn diese wie eine Büffelherde durch den Flur donnert, weil sie, wie jeden Morgen, viel zu spät dran ist. Als Lottis Laptop den Geist aufgibt, leihe ich ihr selbstverständlich meinen. Im Browser finde ich anschließend offene Tabs mit Themen wie:

  • Boris Johnson: Famous quotes
  • Nigeria – a postcolonial country
  • Hermeneutik – Erklärung, Denker und Kritik
  • Die Pflichtethik von Kant
  • Verantwortungsethik Aristoteles
  • Netflix („Friends“)

Abends hält die angehende Abiturientin mir Vorträge über die Wiederbewaffnungsdebatte im Nachkriegsdeutschland, die KSZE-Schlussakte von Helsinki sowie die Notstandsgesetze. Tags ruft sie mich von unterwegs an und fragt Dinge wie: „Mein Franzbrötchen ist runtergefallen. Kann ich das noch essen?“ Einem geflöteten „Guten Morgen!“ meinerseits folgt ein harsches „Boah – mach nicht diesen!!“ ihrerseits.

Die Nerven liegen blank

Eines frühen Morgens setzt sich Lotti auf meine Bettkante und empört sich in unsäglicher Lautstärke über irgendeine Ungerechtigkeit, wobei sie sich in einem fort wiederholt. Augenzwinkernd versichere ich, bereits beim ersten Mal alles verstanden zu haben, doch Ironie wird derzeit nicht goutiert. Sie brüllt: „Alter Mama, Du fuckst so hart ab!!!“ und rauscht türenknallend davon. Zehn Minuten später fragt sie gänzlich arglos, ob sie ein T-Shirt von mir leihen könne. Man bekommt so viel zurück.

Als Chéri und ich an einem verregneten Samstag in der Sauna unsere Base chillen, erreicht mich die dringende Nachricht Lottis, dass sie gerade in der UB sitze, einen Online-Intelligenztest gemacht habe und, um das Ergebnis abzurufen, nun umgehend meine Kreditkarte brauche. Wieder zu Hause, logge ich mich auf der entsprechenden Seite ein und registriere beim Lesen der AGB, dass es sich um ein Abo einer Firma im Vereinigten Königreich handelt. Spaßeshalber zahle ich die ersten fünfzig Cent, erhalte das Ergebnis und kündige das Abo stante pede. An Lotti schreibe ich: „Dein IQ beträgt laut Test 40. Meiner ist schon allein deswegen höher, weil ich die AGB gelesen habe.“

Slay Queen Lotti I

Schließlich gilt es. Bewaffnet bis an die Zähne mit Killer-Hymnen wie „Born to be alive“ und „Staying alive“, einem eisernen Willen sowie hinreichend Astronaut*innen-Nahrung zieht Slay Queen Lotti I in die Schlachten, die sie sämtlich überlebt und das überaus erfolgreich: Am Ende erringt sie in Gesellschaftskunde nicht nur die Bestnote, sondern bezwingt auch noch heroisch den Endgegner in Form von Analysis. Respekt.

Die buchstäbliche Krönung des Ganzen ist der Abiball. Ließ ich bei Hottis Reifeprüfung dem Hotti-Lotti-Papa und Lotti den Vortritt, da zu pandemischen Zeiten nur zwei Personen an dieser Festivität partizipieren durften, genieße ich das heurige Happening nun umso mehr. Lotti, Chéri und ich brezeln uns auf, als gebe es kein Morgen, und von unserem festlich geschmückten Turnhallen-Tisch aus verfolgen wir gebannt die Zeremonie.

Das Glück aus dem Arsch

Während ich selig meinem zweiten großen Kind dabei zusehe, wie es strahlend in langem roten Spaghettiträger-Kleid und schwarzen Tschacks die Bühne hinaufläuft und sein sensationelles Abi-Zeugnis entgegennimmt, fallen schlagartig zweiundzwanzig Jahre Erziehungsverantwortung sowie insgesamt achtunddreißig Schuljahre von mir ab. Vorbei die Zombie-Zeiten, in denen wir frühmorgens wie Untote im Bad Schlange stehen, Pausenbrote schmieren, auf den letzten Drücker Entschuldigungen schreiben und im Gleichschritt in die jeweilige Mühle marschieren mussten, ganz zu schweigen von den ungezählten persönlichen Klippen, die es währenddessen zu umschiffen galt.

Wir haben es geschafft – und wie! Lotti ist volljährig und hat die Schule gerockt, und ich könnte stolzer und glücklicher nicht sein. Es ist einer dieser ganz, ganz seltenen Momente, in denen das Leben ausnahmsweise Ponyhof, Wunschkonzert, Kindergeburtstag und Zuckerschlecken zugleich ist, und die man für immer in der inneren Schatzkiste verwahren wird. Dass Lotti und ich zwei Tage nach der Feier von Corona niedergestreckt werden – geschenkt: Was ist das schon gegen zwei große Kinder und N I E  W I E D E R  S C H U L E ?!

9 Kommentare

    1. Hey Hotti-Maus! Dein erster Kommentar im mütterlichen Blog – welch historischer Tag :). Und alles Gute für Dein drittes erstes Schuljahr!

  1. Hooray, liebe aktuelle!!
    Das ist wirklich ein großer Moment und Du kannst nach 22 Jahren Erziehungsverantwortung wirklich stolz auf Dich und Deine zwei kleinen großen Lochnerinnen sein!

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