Dieses Jahr fällt mein Geburtstag buchstäblich auf einen Sonntag. Es ist warm, die Sonne scheint, Blümchen sprießen, Vögelchen zwitschern, ein Großteil meines ohnehin durchgeboosterten Freundeskreises hatte mittlerweile Corona und ein Ende der Pandemiemaßnahmen ist zum Greifen nahe, sodass ich es wage, zum kleinen, verantwortungsbewussten Kaffeekränzchen im Garten meines Liebsten zu laden. Chéri serviert mir einen Milchkaffee im Bett, und ich strahle ihn an und sage, wie sehr ich mich auf den heutigen Tag und meine Gäste freue. Eine halbe Stunde später legt mir Lotti einen positiven Schnelltest auf den Geburtstagstisch, und anstatt gemeinsam die diversen Gartentische mit Blumenväschen aufzuhübschen, fahren das zunehmend Symptome entwickelnde Kind und ich zur nächsten Teststation und lassen uns das Offensichtliche bestätigen. Bereits auf der Heimfahrt erklärt Lotti energisch, dass sie keinerlei Lust verspüre, sich in den nächsten Tagen oder gar Wochen in ihrem Zimmer zu isolieren, geschweige denn in der Wohnung Maske zu tragen oder anderweitig Rücksicht zu nehmen. „Wozu haben wir schließlich zwei Wohnungen?“, fragt sie und quartiert mich aus in Chéris Räumlichkeiten auf der anderen Straßenseite.
Stresstest Wohnen
So kommt es, dass Chéri und ich nach gut acht Jahren erstmals eine Woche Alltag in denselben vier Wänden miteinander verbringen. Urlaub können wir mittlerweile, Alltag in getrennten Wohnungen auch, jetzt kommt der Stresstest. Aber extreme Zeiten erfordern extreme Maßnahmen, und so starten wir dieses knallharte Experiment, Leben am Limit. Da ich weiß, dass Chéri sowohl auf geregelte Abläufe als auch akribische Ordnung in Sockenschubladen und Kühlschrank Wert legt, parke ich meine Siebensachen im Gästezimmer, passe genau ab, wann ich ihm morgens in Bad und Küche nicht in die Quere komme und stelle die Butter exakt an den angestammten Platz zurück. Meine Joghurtgläser allerdings lege ich absichtlich ins Fach, anstatt sie aufrecht hinzustellen, und warte, wann er das wohl monieren wird. Und da sogar ich einsehe, dass ich nicht auch noch wochentags meinen Milchkaffee im Bett serviert bekomme, überwinde ich meine Abneigung gegen das fauchende Höllengerät von Siebträgermaschine und produziere serienmäßig meine eigenen koffeinhaltigen Heißgetränke. Einmal am Tag ziehe ich zwei FFP2-Masken übereinander, suche die verseuchte Lotti heim und werfe ihr eine warme Mahlzeit durch den Türspalt. Drei- bis viermal täglich telefonieren wir, bald jedoch haben wir uns so gut wie nichts mehr zu sagen: Sie siecht genervt vor sich hin, ich chille mein Leben mit Chéri und ohne eigenen Haushalt.
Chéri wiederum springt über seinen Ordnungsschatten, lässt die Joghurtgläser zumindest die ersten Tage unkommentiert liegen und teilt großzügig Couch, Brot, Bad und Bett mit mir. Er kocht, ich spüle. Ich staubsauge, er putzt. Er badet, ich schreibe. Wir gehen pärchenmäßig einkaufen, erwerben im Baumarkt eine abwaschbare Blümchentischdecke und glotzen Serien. Läuft! Am vierten Abend jedoch dringt ein gellender Schrei aus dem Badezimmer. ‚Herzinfarkt!‘, denke ich augenblicklich, ‚oder Riesenspinne in der Wanne!‘. „Was ist los?!!“, brülle ich, Chéri brüllt zurück: „Der Duschkopf war falsch ausgerichtet!!!“ Insgesamt jedoch, so bilanzieren wir, war die Woche eine fulminante Erfolgsgeschichte. Wenn das so weitergeht mit uns, ziehen wir womöglich noch vor Renteneintritt in eine gemeinsame Wohnung.
P.S.: Lotti siechte im Übrigen eine Woche mit unangenehmen, jedoch weitestgehend harmlosen Erkältungssymptomen und ist mittlerweile in Gänze wieder hergestellt. Ebenso unser in der Zwischenzeit leicht aus den Fugen geratener Haushalt.
Also Joghurtgläser hinlegen ist schon harte Kost. Cherie, Respekt für deine Toleranz!
Er hat es echt nicht leicht mit mir.