Wie bereits in Krebs ist ein Arschloch grafisch dargestellt, besitzt mein Tumor-Drecksack auf ein Uhr die Form einer zweischwänzigen Kaulquappe: ein fetter Klops in der Mitte, der zwischen meinen Milchgängen mittlerweile Fäden von insgesamt zehn Zentimetern Länge nach oben und unten gesponnen hat. Um die ursprünglichen Anfangs- und Endpunkte des Tumors dauerhaft verorten zu können, schießt mir Doc Huhn bei unserem nächsten Date zwei Metalldrähte in die linke Brust. Mithilfe dieser Clipmarkierungen kann man künftig hoffentlich wunderbra dabei zusehen, wie der Drecksack unter der anstehenden Chemotherapie schrumpfen wird, und bei der Operation schließlich das ursprüngliche Tumorareal lokalisieren und entfernen. Lotti fragt mich zu Hause ungläubig, ob ich jetzt Metalldinger im Busen habe, und ich antworte lässig: „Das ist der neue heiße Piercing-Scheiß. Außen und sichtbar kann ja jede*r.“
Um zu überprüfen, ob meine neuen Piercings auch richtig sitzen, werde ich zur Mammografie in die Radiologie geschickt. Für diese Röntgenaufnahme der Brust verrenkt frau sich zu vollkommen widernatürlichen Körperhaltungen, während die anwesende Fachfrau für das Fotoshooting professionell die gepiercte Brust hart zwischen zwei Plexiglasscheiben in Form presst. Ich frage sie, ob sie das den ganzen Tag mache, sie bejaht. Was für ein Job. Sehnsüchtig und erleichtert denke ich an mein harmloses kleines Zirkusbüro. Luft anhalten, lächeln, Foto, fertig. Meine Innen-Piercings sitzen perfekt.
Strahlende Schönheit
Zurück bei Professor Huhn stellt sich heraus, dass mir in den nächsten Monaten auch ganz ohne Metastasen eine steile polytoxikomane Karriere bevorsteht und meine diesbezüglichen Parameter damit durch die Decke gehen werden. Denn der Therapieplan sieht aus wie folgt: 24 Wochen Chemotherapie, drei Wochen Pause, Operation, vier Wochen Pause, sechs Wochen tägliche Bestrahlung, danach fünf Jahre Hormontherapie. Mir blüht eine hohe Infektanfälligkeit, was mich in der aktuellen Pandemie zur Risikopatientin macht. Einmal in der Woche wird ein Blutbild fällig werden, alle drei Monate ein EKG sowie ein Herz-Echo.
Danach geht es zu Frau Professor Fischke, der Onkologin im sechsten Stock. Sie offenbart mir die Implantierung des Portsystems für die Chemotherapie in den nächsten Tagen, klärt mich über potenzielle Nebenwirkungen inklusive Haut- und Haarproblemen auf und versorgt mich mit einem Stapel Rezepten gegen Übelkeit, Verstopfung und Schmerzen samt Erläuterungen. Als Krönung händigt sie mir noch ein Rezept für eine Perücke aus. Meine Befremdung nimmt kein Ende. Lotti hingegen zeigt sich zu Hause begeistert: „Cool, wir holen Dir eine in Pink!“ Ganz meine Tochter: Wir machen die Krücke zum Zepter!
Liebe Perle, ergebensten Dank, das hilft ein bisschen über die seit gestern rieselnden Haare hinweg. Heute wird geschoren. Artikel folgt.
Ein Hoch auf Lotti. Und du bist eh die Schönste im Klüngel – ob in lila oder ohne! Du kennst meine Ansicht.
Perlende Grüße my dear