Ganz im Glück

die schnecktuelle beim Walking.

Die erste Woche in der Onko-Klinik Schneckeck liegt hinter uns, Zeit für ein erstes Resümee! Die wichtigsten Rahmendaten zuerst: Das Personal ist sehr nett und zuvorkommend, das Essen in Ordnung. Großartig ist, dass wir das Mittagessen serviert bekommen, wir nie irgendetwas abräumen müssen (das Gegenteil von zu Hause) und es immer Nachtisch gibt, gerne Pudding. Koala, meine Tischnachbarin, sagt zwar, dass ihr der Nachtisch persönlich nicht viel bedeute, mir jedoch bedeutet die Zucker-Fett-Dröhnung nach dem vernünftigen Vollwertessen umso mehr, sie ist einer meiner täglichen Höhepunkte. Die Anwendungen sind genau das Richtige und tun unendlich gut, meine innere Oma ist ganz im Glück. Sonstiger Funfact: Ich habe noch nie so viele Frauen mit raspelkurzen Haaren auf einem Haufen gesehen! Die umliegende Natur ist ebenso entzückend wie heilsam: Überall stehen Kühe herum, Vögel zwitschern, Grillen zirpen, Bächlein plätschern. Ma Baker mutmaßt, dass dieses Arrangement Teil des therapeutischen Konzepts ist. Und dass die mutterseelenverlassene Brut zu Hause lebt und zwar buchstäblich wie die Made im Speck, da sie täglich mit Essen versorgt wird, trägt ebenfalls maßgeblich zu meiner Entspannung bei – 1000 Dank an alle Köch*innen, Ihr seid der absolute Hammer :***!!!

Was mache ich hier eigentlich?

Aber was mache ich hier eigentlich den ganzen Tag? Der klassische Rehathlon gestaltet sich folgendermaßen: Gymnastik für die verschiedensten lädierten Körperregionen, Schneckenwalking (ohne Nordic), Heimtrainerradeln, Wasserballett. Bei der Ergotherapie aktivieren wir unsere tauben Fingerspitzen, indem wir kleine bunte Granulatperlen kneten, stupfen und sortieren, wobei die Perlen bei Letzterem gerne auch mal durch die Gegend fliegen, da wir es mit der Feinmotorik nicht mehr so haben. Gegen die kognitiven Aussetzer unserer Chemobrains bekommen wir Gedächtnistraining, und auf dem Barfußparcours können wir unsere gefühlsarmen Füße ausführen, auch wenn die davon nicht allzu viel mitbekommen. Andere Patientinnen, die nach der Brust-OP taube Achseln oder Arme haben, sind da nicht so gut dran, da mit diesen Körperstellen weder Perlensortieren noch Parcourslaufen möglich ist. Koala beschreibt diese Missempfindung unter der Achsel trocken wie folgt: „Ich könnte genauso gut ein Schwein rasieren.“ Ein schönes Bild. Ansonsten hören wir Vorträge zu Ernährung und beruflicher Wiedereingliederung und bekommen Physio- und Elektrotherapie, Reizstrombäder, Massagen sowie psychologische Einzel- und Gruppengespräche. Mein Physiotherapeut meinte neulich: „Das hier ist ein Trainingslager!“

Die Entdeckung der Poolnudel

Bei den frei wählbaren Entspannungstechniken gefällt mir Qi Gong besonders gut: Zunächst begrüßen wir unsere inneren Freunde (Organe, Muskeln, Gelenke etc.), indem wir uns von oben bis unten abklopfen. Wir trommeln auch unsere Zehen wach, damit diese nicht am Ende beleidigt sind, applaudieren uns selbst, indem wir die Hände abklatschen, und klopfen uns ausgiebig auf die Schultern. Außerdem schätze ich den feinen Humor des Meisters Herrn Meier: „Der Tiger fährt die Krallen aus. Tiger sein – kein Schaf! Furchterregender Blick! – Machen Sie diese Übung gerne vor schwierigen Gesprächen, zum Beispiel mit Vorgesetzten – keinesfalls währenddessen.“ Oder: „Kranich sein – kein Spatz! Wir fliegen durch die Wolken. Erhabener Blick!“ Anschließend schaut er in die Runde und winkt poetisch mit dem Zaunpfahl: „Und es heißt, es ward noch nie ein grimmiger Kranich gesehen.“

Am Wochenende gibt es außer den Mahlzeiten keine festen Termine, und ich gehe wahlweise im Wald spielen, lustwandele auf dem Apfel- oder Höhenweg, mache diverse Vormittags-, Mittags- oder Nachmittagsschläfchen oder kippe mir eine Schwarzwälder Kirschschnitte hinter die Binde. Abends gehe ich hin und wieder schwimmen, bastle mir einen Wassersessel, indem ich mir je eine Poolnudel unter die Kniekehlen und das Genick klemme, und treibe schwerelos im Therapiebecken. Meine wechseljahrsbedingten Arthrose-Gelenke jubeln ob dieser wiederentdeckten Leichtigkeit. Ich notiere innerlich: Wieder mehr schwimmen gehen! Und wenn ich mithilfe der kognitiven Therapie meine Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit drastisch steigere, gelingt es mir vielleicht sogar bis zum Ende des Sommers, die jeweils aktuellen Corona-Regeln und Nutzungsbedingungen des Lingendinger Bäderbetriebs zu verstehen und mir dort tatsächlich eine Eintrittskarte zu sichern.

7 Kommentare

  1. Hinweis für Herrn Meier, mal ein bisschen an seinen Bildern zu arbeiten: Unser Schaf hat die einzigartige Gabe, vor Schreck einschlafen zu können. Das ist wohl der Höhepunkt innerer Entspannung. Und es irritiert Wölfe, Tiger und Chefs so sehr, dass sie schnell das Weite suchen.

    1. Dazu muss man aber auch sagen, dass Euer Schaf nicht repräsentativ ist. Das gemeine Feld-, Wald- und Wiesenschaf hingegen ist wohl kaum zu derartig elaborierten Angriffstechniken in der Lage. Insofern kann man m. E. Herrn Maier seine Bilder durchaus durchgehen lassen.

  2. Oh ja, bring ein Schwein mit, Koala wird sich freuen! Vielleicht können wir es nach dem Rasieren auch mit zu den Wasserfällen und in den Wald nehmen, das würde ihm sicher gefallen.
    Und wie das wirkt – fuck the Fatigue!

  3. Zum grimmigen Kranich! Mutterseelenverlassene Speckmadenbrut!
    Ich könnte versuchen zum Wochenende hin ein williges Schwein zu organisieren, damit Koala es dann rasieren kann?
    Das Trainingslager wirkt!

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