Pünktlich zur Lebensmitte kündigt sich im Hause aktuelle ein Umbruch an, der sich gewaschen hat: Er beginnt mit dem Auszug der Erstgeborenen Hotti, die bereits vor einem Jahr ihren Hauptwohnsitz zu Ausbildungszwecken nach Schleipzig verlegte. Damit hinterließ sie nicht nur Lotti, mich sowie zwei Jokerkisten auf Chéris Dachboden, sondern läutete auch die Phase des vielbeschworenen Empty Nest ein – die gemeinsame Zeit in unserem Drei-Mädel-Haus neigte sich definitiv ihrem Ende entgegen. Chéri und ich höchstselbst fuhren damals Hotti samt ihren Siebensachen nach Schnacksen, wobei wir Orte mit wohlklingenden Namen wie Fernwehpark Oberkotzen, Parkplatz Himmelsleiche, Lederhose und Kickelhahn passierten, und setzten sie in ihrer neuen Wohngemeinschaft in der Schlötteritzer Straße aus. Als wir noch am selben Abend heimkehrten, gähnten uns Hottis leeres Zimmer und eine vollends verstörte Katze an. Der Anbruch einer neuen Ära.
Sag zum Abschied leise Servus
Angesichts unseres allmählich fortschreitenden Bau- und Wohnprojektes Schneck-Pilot, in das Chéri und ich im kommenden Jahr zu ziehen gedenken, ergriff ich ebenso gründlich wie vorausschauend die Gelegenheit, dem zurückgelassenen Chaos mit weiteren Entrümpelungsmaßnahmen zu begegnen und so im Vorfeld unnötigen Ballast abzuwerfen. So landeten tonnenweise ungeliebte Kleidungsstücke, mittelmäßige Bücher, überflüssige Haushaltsgegenstände sowie unvollendete Kreativarbeiten in unzähligen Geschenkekisten, die am Straßenrand neue Besitzer*innen glücklich machten. Als nächstes absolvierte die Zweit- und Letztgeborene Lotti ihr Abitur und beendete damit unser aller Schulzeit final (wir berichteten). Die Missionen „Ausmisten vorm Umzug“ und „Kinder durch die Schule schleusen“ waren damit erfolgreich abgeschlossen.
Insofern erscheint es mir mehr als folgerichtig, dass meine Gynäkologin und ich uns vor einigen Wochen entschließen, meinen Uterus nach der vierten Polypenansammlung prophylaktisch entfernen und das Zeitliche segnen zu lassen. Beide sind wir uns einig, dass er in meinem bisherigen Leben Großes vollbracht hat und ich ihn für mein folgendes nicht mehr benötigen werde. Und wo wir schon dabei sind – und um künftigen Höllenritten durch die onkologische Unterwelt vorzubeugen –, beschließen wir außerdem, sämtlichen Eierstöcken, Eileitern und Gebärmutterhälsen gleich mit den Garaus zu machen. Alles muss raus!
Total-OP mit Da Vinci
Und wieder sagen wir zum Abschied leise Servus und weisen mich in die ortsansässige Frauenklinik ein, wo man mir zu meiner großen Freude mitteilt, nicht nur von ausgezeichneten Oberärzt*innen operiert zu werden, sondern auch von einem weiteren Genie: Da Vinci! Der Da-Vinci-Roboter, so erklärt man mir, sei ein vierarmiges Chirurgiesystem mit 3D-Kamerasystem, das es Chirurg*innen ermöglicht, orthopädisch korrekt an einer Steuerkonsole zu sitzen und von dort aus ihre Patient*innen in zehnfacher Vergrößerung minimalinvasiv zu zerlegen. Diese Technik inklusive der Aussicht auf kleine Schnitte und rasante Wundheilung begeistern mich derart, dass ich direkt bei einer weiteren Studie einsteige.
Die Operation selbst verläuft sensationell, und nach drei Tagen werde ich mit zwei kleinen Schnittwunden und mehreren blauen Fleckchen rund um den Bauchnabel entlassen. Einzig mein maroder Kreislauf und das OP-Gas, mit dem mein Bauch einem Luftballon gleich aufgeblasen wurde, machen mir noch eine Weile zu schaffen, bis auch dieses Elend ein Ende hat und ich allmählich meinem Urlaub in Bella Italia entgegenblicken kann.
Und jedem Ende wohnt ein Anfang inne
Ein Ende der allgemeinen Verabschiedungstendenz ist jedoch auch nach diesem Abenteuer aktuell nicht abzusehen: Nach dem kommenden Abschlussprojekt des Zirkus Cannelloni, bei dem auch Lotti die Große letztmals in der Manege stehen wird, werden Chéri und ich unseren Lieblingszirkus als ehrenamtlich mitschuftende Eltern verlassen. Lotti hingegen wird den Flieger nach Schnottland besteigen, um in einer ländlichen Community ökologische Landwirtschaft zu betreiben und Schafe zu streicheln: Empty Nest in jeder Hinsicht.
Doch jedem Ende wohnt bekanntlich auch ein Anfang inne, und so werden Chéri und ich, kurz nach meinem 150. Geburtstag, im nächsten Frühling die Segel streichen, nach vielen Jahren unsere geliebten Südstadt-Wohnungen verlassen und gemeinsam unter das Dach des Schneck-Pilot-Projektes ziehen. Auf zu neuen Ufern!
Auf dann zu neuen Ufern. Und viel Gelassenheit beim Umschiffen der vielen Ecken und Kanten, die noch kommen werden. Oder um es mit da Vinci (dem Zwei-, nicht dem Vierarmigen) zu sagen: Die meisten Probleme entstehen bei ihrer Lösung.
„Ein Genie macht keine Fehler. Seine Irrtümer sind Tore zu neuen Entdeckungen.“ James Joyce
Wir werden es nach Möglichkeit mit Herrmann Hesse halten: „Gegen die Infamitäten des Lebens sind die besten Waffen Tapferkeit, Eigensinn und Geduld. Die Tapferkeit stärkt, der Eigensinn macht Spaß und die Geduld gibt Ruhe.“
Bei Dir und bei Euch ist was los! Meine Erfahrung: Die Kinder stehen immer wieder vor der Tür 🙂 viele Grüße
Verbindlichsten Dank für die geteilten Erfahrungswerte! Ich partizipiere weiterhin gerne :).
Ein Hoch auf die Lebensmitte und die neuen Ufer mit hoffentlich auch jeder Menge Zauber! Falls der nicht in angemessener Menge vorhanden sein sollte, kompensierst Du das einfach lässig im Vertikalgarten des Schneck-Pilots.
Viele große und aufregende Veränderungen. Danke für das Update, immer eine Freude zu lesen. Und wenn ihr wieder ein Kurzurlaub in Freisingen machen möchtet, seid ihr jederzeit höchst willkommen <3
Danke <3! Das alles ist bei Euch ja glücklicherweise noch ein bisschen hin ;).