Empty Nest oder: Farewell Fat Cat (Teil 3)

Das Nest hört nicht auf, sich zu leeren, und das auf immer unvorhersehbarere Weise. So versagen nicht nur innerhalb einer Woche die Spül- und Waschmaschinen ihren Dienst im Hause aktuelle. Nein, auch meine weltbeste tierische Freundin und Katze LaFette wird völlig unerwartet, viel zu früh und aus bislang ungeklärter Ursache aus ihrem behäbigen und übergewichtigen Leben und unserer aller Mitte gerissen, noch ehe Chéri und ich ihre Schwester LaDünne zu Hotti nach Schleipzig transferieren.

Die Katze im Sack

Als meine zutiefst menschliche Freundin Urschula und ich uns zu einem gepflegten Frühstück in der türkischen Bäckerei Schnada, idyllisch gelegen an einer der Hauptverkehrsachsen der Lingendinger Innenstadt, zusammenfinden, informiert mich unmittelbar nach der Bestellung meine Vermieterin per Handy, dass zwei Polizisten mit einer toten Katze in unserem Hof stehen. Diese sei in einem benachbarten Vorgarten gefunden worden und stecke nun in einem blauen Müllsack. Sie reicht das Mobiltelefon an die Polizisten weiter, welche vorschlagen, den Leichnam zu Identifikationszwecken direkt in die Innenstadt zu fahren. Offenbar ist im Revier heute nicht allzu viel los. Ich breche in Tränen aus, die Stimmung im Schnada gleicht augenblicklich der einer Grabkapelle und der Wirt serviert schweigend eine große Kanne Schwarztee.

Fünf Minuten später parken die zwei Polizisten, die auch eine sehr gute Figur in „Mord mit Aussicht“ machen würden, auf der Hauptverkehrsachse, und während ich schluchzend die Katze im Sack identifiziere, umfährt uns vorsichtig ein größerer Linienbus. Die beiden Freunde und Helfer sind äußerst mitfühlend, beteuern, dass sie ja selbst keine Haustiere hätten und sich daher den Schmerz nur ansatzweise vorstellen können, und bieten mir an, meine über alles geliebte Nessie-LaFette direkt in Chéris Garten zu überführen. Mit tränenerstickter Stimme heule ich in die Bodycam des Kleineren: „Sowas machen Sie?!“ und stelle mir vor, wie das Revier am Nachmittag kollektiv diesen Irrsinn auswertet. Kurz darauf betritt ein weinender Chéri das Schnada: Er habe unsere LaFette in einer Tüte hinterm Haus gefunden und sei sofort herbeigeeilt, um mir die tragische Nachricht zu überbringen. Was für ein Film.

RequiesCat in pace!

Nessie-LaFette Geraldine Moppelboppel Mau, wie sie mit vollem Namen hieß, war unsere Familienclownine, die sich durch unsere Betten haarte und uns dafür großzügig mit Mäusen versorgte. Stach sie der Hafer, stob sie im Schweinsgalopp durch die Wohnung, während ihr kapitaler Schwabbelbauch hinterherschlingerte. Mit Hingabe wälzte sie sich im Dreck, schlachtete als Slay Queen die Vögel der umliegenden Gärten und ermittelte sonntagabends mit uns im Tatort. Hatte ein Regenschauer sie erwischt, brach sie zeternd durch die Katzenklappe und forderte eine sofortige Trockenfrottierung. Sie begleitete mich auf die Toilette, wo sie hinter meinem Rücken Weberknechte jagte, schnuckelte mich in schlimmsten Krankheitstagen gesund und fraß ihrer Schwester LaDünne noch das letzte Bröckchen weg. Sie war unfassbar weich, warm und mollig, wir liebten jedes Gramm an ihr. Sie war mein animalisches Ein und Alles, für sie war Fressen das Größte. Sie war eine Persönlichkeit. Farewell Fat Cat, wir werden Dich nie vergessen!

Nun ist sie also eine Dead Fat Cat. „RequiesCat in pace!“, wie die Frau Nachbarin, ihres Zeichens Lateinlehrerin, mitfühlend bemerkt. Anerkennend konstatiert sie, dass es definitiv keine Katze der Südstadt so weit gebracht habe wie unsere LaFette: im Polizeiauto in die Innenstadt! Und so beerdigen Urschula, Chéri und ich noch am selben Nachmittag schwersten Herzens unseren schwarzweißen Wonneproppen zu Klängen von Cat Stevens an einem schattigen Plätzchen im Garten: eingewickelt in eine Babydecke, versehen mit einem Säckchen Baldrian und einem Blümchen von der Frau Nachbarin. Dr. Sprite, die selbst vor einigen Monaten ihren felligen Freund Schnodo zu Grabe tragen musste, kommt zum Kondolieren vorbei, wir entzünden ein Feuer, und LaDünne tritt mit Genugtuung das frische Grab ihrer ebenso verfressenen wie verhassten Schwester fest.

If you wanna leave, take good care!

Ein tröstliches Ende zu finden, fällt in diesem Fall recht schwer, aber wir versuchen es. Immerhin wurde Nessie-LaFette Geraldine Moppelboppel Mau kein zwanzig Jahre alter inkontinenter Pflegefall mit unerträglichen Schmerzen. Zudem blieb ihr durch den vorzeitigen Tod der Umzugsstress ins Wohnprojekt erspart, wo sie sich das Revier mit der Projektkatze und Prinzessin Kate hätte teilen müssen. Wir mussten ihre sterblichen Überreste auch nicht von der nahegelegenen Bundesstraße kratzen, sondern konnten ihren Luxuskörper als Ganzes bestatten. Am meisten Trost spendet womöglich jedoch die Vorstellung, dass sie fortan gemeinsam mit Dr. Sprites Schnodo in höheren Sphären weilt und über uns wacht.

For Nessie—LaFetti of my life

Cat, it’s breakin′ my heart you’re leavin‘

Fatty, I′m grievin′

But if you wanna leave, take good care

I hope you meet a lot of nice mice out there!

(„Wild World“, frei nach Cat Stevens)

3 Kommentare

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert