Wechselbra oder: Midlife Crisis

Welcome to the Jungle.

Noch fünfmal schlafen, dann geht es in die Anschlussheilbehandlung nach Schneckeck im Schnallgäu. Nach diversen onkologischen Abenteuern, einer gefühlten Ewigkeit im Homeschooling-Lockdown sowie etlichen häuslichen Schlammschlachten um zu erledigende Haushaltsdienste ist das mehr als bitter nötig, bevor Hotti, Lotti und ich uns noch gegenseitig aussetzen. Zudem gesellt sich zu meiner grundsätzlichen Erschöpfung neuerdings ein weiterer irritierender und raumgreifender Gedanke, der an meinen Grundfesten nagt: Meine Jugend ist vorbei. Das ist mit sechsundvierzig Jahren eine eher mittlere Überraschung, aber, wie Hotti und Lotti sagen würden: Ich fühl’s grad.

Als ich im letzten Sommer die Diagnose Brustkrebs und den dazugehörigen Fahrplan erhielt, klammerte ich mich nach dem ersten Schock an die Vorstellung, dass ich jetzt einfach ein Jahr aussetzen und quasi auf der Ersatzbank verbringen, unterdessen die vorgegebene Liste – Chemo, OP, Bestrahlung, Reha – generalstabsmäßig abarbeiten und im folgenden Herbst wieder ganz normal arbeiten gehen würde. Der Krebs als kurzes Intermezzo mit der anschließenden Rückkehr in meine altvertraute Normalität. Doch nun, wo ich tatsächlich beinahe alles generalstabsmäßig abgearbeitet habe, fühlt sich so Einiges überhaupt nicht mehr an wie vorher, nichts ist vertraut und nichts normal, sondern alles  irgendwie schief, verschoben, angeschlagen, angeschossen, angezählt. Durch die Chemotherapie wurde mein Körper binnen Wochen abrupt in die Wechseljahre katapultiert, statt meinem uhrwerksmäßigen Zyklus von einst habe ich Hitzewallungen, die kommen und gehen, wie sie wollen. Da mein Tumor hormonsensitiv war, werde ich als Rezidivprophylaxe die nächsten fünf Jahre Hormonblocker schlucken; was das für meinen Körper und meine Psyche bedeutet, weiß ich noch nicht. Die Polyneuropathien an meinen Händen haben sich glücklicherweise zurückentwickelt, diejenigen an meinen Füßen nehmen jedoch zu. Dass meine Brüste seit der Tumorentfernung eine starke Asymmetrie aufweisen, die durch eine weitere, noch anstehende OP wieder ausgeglichen werden wird, ist noch eines der geringsten Probleme. Was mich hingegen ausgesprochen irritiert und beunruhigt, sind diese unsägliche Energie- und Kraftlosigkeit und die leise Ahnung, dass meine stärksten Jahre, in denen ich Berge versetzen, Bäume ausreißen, Zirkus-Chroniken publizieren und gleichzeitig zwei Kinder großziehen konnte, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Vergangenheit angehören.

Frische Brise aus der Krise

Empirische Erhebungen in meinem persönlichen Umfeld hatten mich bisher davon ausgehen lassen, dass die Krise der mittleren Jahre sich etwa mit Ende Vierzig Bahn bricht und die Leute mit existenziellen Fragen und Themen wie beispielsweise der eigenen Endlichkeit und Begrenztheit, dem Betrauern von verpassten Möglichkeiten und nicht zuletzt dem Alterungsprozess inklusive der Zunahme verschiedenster Zipperlein heimsucht. Kulminationspunkt dieser Misere war dann meist der fünfzigste Geburtstag, der entweder riesig oder gar nicht begangen wurde, und nach zwei, drei Jahren waren diese Midlife-Crisis-geplagten Menschen wieder einigermaßen in der Spur und um ein paar Erkenntnisse, Gebrechen, Falten und graue Haare weiser und reifer. Kontrollierte Krise mit Upgrade sozusagen, so deuchte mir von außen. Aufgrund dieser Datenlage glaubte ich, dass mir bis zu diesem Happening noch ein paar Jährchen blieben und ich bis dahin auf der sicheren Seite wäre. Und nun erwischt mich das Ganze eiskalt durch die verkrebste Hintertür: Hormonabbau, schmerzende Gelenke, nachlassende Superkräfte, Begrenzung, Endlichkeit, das volle Programm. Wenn auch nicht gleich das hohe Alter als solches direkt auf der Matte steht, so doch nichts weniger als die überschrittene Lebensmitte, jedenfalls ein Übergang von einer Phase in die nächste und damit die Frage: Wie will ich die mir verbleibende Zeit nutzen? Zumal wenn eine wiederkehrende Krebserkrankung diese Zeit womöglich drastisch verkürzen könnte.

Plötzlich stehe ich mitten im Wald und weiß weder, wie ich da hineingeraten bin, noch, wie ich da wieder herausfinden soll. Als ich Chéri von meiner Verwirrtheit erzähle, rät er, um im Bild zu bleiben, mir wenigstens eine schöne Lichtung zu suchen, und tröstet mich mit dem Versprechen, dass er ab und zu vorbeikommen werde, um mir wahlweise ein Bambi zu schießen oder ein paar Pilze zu grillen. Diese Vorstellung tröstet mich tatsächlich ein wenig, trotzdem renne ich einen Tag später in die Buchhandlung und decke mich mit Fachliteratur ein, die mir wenigstens die Illusion von Kontrolle vermittelt: „ZwischenZeiten. Vom Verstehen der Wechseljahre“ von Marina Benjamin und „Heilung auf Widerruf. Überleben mit und nach dem Krebs“ von Petra-Alexandra Buhl. Außerdem gönne ich mir noch „Die grüne Hausapotheke“, schließlich will ich nie wieder krank werden, und einen fetten „Kosmos Pflanzenführer“, mit dem ich künftig jedes Kraut und Kräutlein in jedem Wald der inneren und äußeren Welt bestimmen kann. Derart ausgerüstet fühle ich mich der neuen Lebensphase zumindest in Ansätzen wieder gewachsen, ebenso der Tatsache, dass mir in der kommenden Anschlussheilbehandlung ausgedehntes Nordic Walking blühen. Auch das, dachte ich, hätte noch ein wenig Zeit.

5 Kommentare

  1. Hahaaa ulkige Vorstellung: Chéri schießt ein Bambi? Niemals! Pilze grillen, Zäpfle trinken, Buchenholz-Feuerchen… Das könnten wir im Sommer im Vallé de Sulz mal wieder machen. Altersgerecht mit Gartenstühlchen versteht sich, nicht auf diesen ollen Biertischbänken ohne Lehne.

    1. Also wirklich, Perle…
      Dass Du mir die Bambis nicht zutraust…
      Wer weiß, welche Jagderträge plötzlich vor DEINER Tür liegen

  2. Ahoi Anja,
    Der Kosmos Pflanzenführer ist quasi Ideal fürs Allgäu.
    Ich wünsche dir ganz viel Kraft auf den letzten Metern bis zum Ziel.
    Gruss aus dem Kleinen Wiesental.

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