Superpep und Reisegold

Was Ma Baker und der SysOp können, können wir schon lange und setzen sogar noch einen drauf: Wir haben uns nämlich nicht nur als Deutsche unter Deutschen im mediterranen Ausland herumgetrieben, nein, wir haben sogar noch die Patchwork-Nummer hingelegt. So bereiten Chéri und ich Hotti und Lotti so früh wie nötig und so pädagogisch-wertvoll wie möglich auf die ersten gemeinsam zu verbringenden Ferien vor, was durchaus die eine oder andere Vertrauenskrise mit sich bringt. Als es Chéri beispielsweise nicht auf Anhieb gelingen will, den Urlaubsort auf Google Maps zu lokalisieren und vorzuführen, meint Lotti: „Du musst schon wissen, wo du hinfährst, sonst fahre ich nicht mit.“ Auch dass man mit Google Street View zwar durch die angepeilte Ortschaft, jedoch (noch) nicht in die dortigen Häuser laufen kann, schreibt meine Zweitgeborene Chéri höchstpersönlich zu und nicht den derzeitigen technischen Gegebenheiten.

Quickfix von der Heimatfront

Als die Reise näherrückt, lasse ich mich, geschult durch vergangene 15-stündige Autofahrten mit Lotti und mental unterstützt von Dr. Sprite, Horny Tawny und Mr. Matrix, in der Apotheke in Sachen Reiseübelkeit bei Kindern beraten. Die nette Apothekerin hat gleich zwei tolle Produkte auf Lager mit den klangvollen Namen Superpep und Reisegold, beide enthalten den gleichen Wirkstoff. Bei Superpep handelt es sich um ein Kaugummi, Reisegold hingegen ist eine teilbare Tablette mit der doppelten Dosis. Nachdem mir die Apothekerin glaubhaft versichert hat, dass beide Präparate durchaus legal und die jeweils sedierten Kinder noch immer wieder aufgewacht seien, entscheide ich mich für Reisegold, das passt auch viel besser in unseren royalen Haushalt.

Die Hinfahrt verläuft recht unspektakulär. Lotti beschimpft ihre große Schwester, bis ihr dank Reisetabletten die Augen wegrutschen und sie einschläft, und Hotti, die Bücher früher nicht mit der Pinzette angefasst hätte, verschlingt eine Vampirschnulze nach der anderen. Als wir ankommen, ist das ruhiggestellte Kind zwar schläfrig, aber lebendig. Die erste Woche verbringen wir mit vierzehn anderen netten Menschen in einem piemontesischen Haselnusshain (von wegen Piemontkirsche), und wider Erwarten dreht nicht Lotti durch, was sie hin und wieder ja recht gerne und ausgiebig tut, weil sie irgendetwas Unmögliches will bzw. Mögliches oder Gebotenes nicht will, sondern ich wegen Lagerkoller. Durch ein Quickfix per SMS von Ma Baker und Fanta bekommen wir die Situation allerdings relativ zügig wieder in den Griff (ein herzliches Dankeschön noch einmal an dieser Stelle).

Seeigel, Steine, Angst

In der zweiten Woche verlassen vier alle die Riesengruppe und fahren als neuer Stern am Patchwork-Himmel an die Blumenriviera in eine nette kleine Ferienwohnung in einer idyllischen abschließbaren Wohnanlage direkt an der Autobahn, unter unserem Balkon gähnt eine Baugrube. Stante pede fange ich an, mich zu entspannen, während nun Hotti und Lotti Gas geben und sich alles heißen, was ihnen den lieben langen Tag so einfällt („DU DUMMES KIND!!!“). Nichtsdestotrotz schmeißen wir uns gut gelaunt in unsere Badesachen und fahren raus aus der Schließanlage, runter ans Meer. Dort angekommen, stellen wir fest, dass wir unser gesamtes Strandequipment zu Hause vergessen haben. Also kaufen wir noch schnell einen Sonnenschirm, eine Schwimmbrille für Lotti und ein Kopftuch für mich, rollen zwischen unzähligen anderen deutschen Familien (sic!) routiniert unsere Badematten aus und machen es uns gemütlich. Hotti, Lotti und ich sind tatsächlich erst mal zufrieden, nur Chéri schaut jetzt etwas unglücklich aus der Badehose, konnte er eine derartige Urlaubsform die letzten Jahrzehnte doch glücklich umschiffen. Und dass man mit uns drei Grazien nicht ein Mal ohne ein Jenseitsgekreische („DA SIND SEEIGEL!!“ „SCHEIßE, DA IST JA ALLES VOLLER STEINE!!!“ „JETZT ZERRT NICHT DAUERND SO AN MIR RUM!!!!!“ „MAAAMMMAAAAAA, ICH HAB AAAAAANGST!!!!!!!!!!!!!!“) auch nur eine klitzekleine Runde durch eine harmlose Bucht im Mittelmeer schwimmen kann, macht es auch nicht besser.

Aber auch diese Hürde nehmen wir ebenso superpeppig wie würdevoll, schließlich haben wir schon ganz anderes gemeistert und Superhelden sind ja ohnehin so etwas wie Berufsoptimisten. Künftig schlagen Chéri und ich unser Lager auf den Felsen im Meer auf, Hotti und Lotti beschimpfen sich zehn Meter entfernt von uns auf ihrem eigenen Stein, und ich gehe einfach nicht mehr mit ins Wasser. Farblich sortierte Bezahlliegeplätze, heruntergekommene Hotels, verfallene Gewächshäuser sowie pubertäre Unflätigkeiten („WARUM MÜSSEN WIR UNS SCHON WIEDER SO EINE BESCHEUERTE STADT ANGUCKEN????“) blenden wir stoisch aus und deeskalieren situationsadäquat mit Cappuccino, Eis, Bier und Pizza. Stellt sich nur noch eine Frage: Wohin geht es nächstes Jahr?

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