Chéri hat einen Gutschein für vier Tage Extremwellnessen im Piperacher Quarkhotel gejagt, von dem ich mir nach einer Woche mit einer Magen-Darm-kranken Lotti, einer heiser röchelnden, vorpubertären Hotti sowie einer ausufernden Sisyphos-Orgie an der Home-Office-Front maximale Erholung und mindestens ewige Jugend verspreche. So stopfen wir den Kofferraum bis obenhin voll mit Bademänteln, Plastiklatschen, Wanderstiefeln, Joggingschuhen, Laptop, Büchern, Hörspielen und Schokokeksen, meine alltags festgewachsene Armbanduhr hingegen vergesse ich Freud sei Dank zu Hause.
Alles will, ich muss nichts
Bestehend aus Unterkünften, Familienbad, Thermal- und Salzwasserbecken, Saunadorf und Betreutem Wohnen ist das Quarkhotel am Hang des Piperacher Sauberbergs ein Mikrokosmos für sich, und es dauert eine ganze Weile, bis ich auf dem Weg in die Schwitzhütten nicht mehr ins Betreute Wohnen abbiegen will. An der Rezeption werden wir als erstes mit Chips für die wunderbrare Wellnesswelt ausgestattet. Sie sehen aus wie Uhren ohne Zifferblatt, und ich liebe es, mehrmals täglich einen Blick darauf zu werfen und alle Zeit der Welt zu haben. Als Nächstes schmeißen wir den Kofferrauminhalt in unsere Royal Suite, reißen uns die Kleider vom Leib, werfen unsere Luxuskörper in Bademäntel und -latschen und schlappen los in Richtung Saunawelt. Um die Vorfreude auf selbige noch auf die Spitze zu treiben und den Kontrast von Alltag und Urlaub aufs Äußerste auszureizen, hatten die Architekten des Bades die grandiose Idee, die Saunagäste zunächst durch weitläufige Familienplanschlandschaften zu leiten, wo es unentwegt und allerorten in schrillen Frequenzen quietscht, kreischt, streitet, kleckert und will, egal ob Pommes, Eis, die Schwester hauen, noch mal rutschen oder alles auf einmal, und es ist einfach schön zu sehen, was man gerade alles nicht muss.
Augen, Nase, Popos
Das Saunadorf besteht aus einem Außenbereich mit gemeiner Finnensauna, abwehrstählendem Heustadel und beruhigender Kräuterhütte sowie einem Innenbereich mit weiterer Finnensauna, esoterischer Softsauna (Lichtorgel und Indiandergedudel) und feucht-fröhlicher 75°-Vitalsauna, was spontan die Frage aufwirft, ob es im Gegenzug auch eine 195°-Lethalsauna gibt. Verbunden werden Innen und Außen durch ein großes, warmes Planschbecken, in dem Menschen träge wie Nilpferde tiefenentspannt vor sich hin treiben, aus dem Wasser ragen lediglich Augen, Nasen und manchmal noch das Hinterteil. Auffällig dabei ist vor allem die erstaunlich hohe Quote verschnuckelter glücklicher Pärchen. Zahlreiche faule Frauen hängen im Becken schwer auf den Rücken ihrer Männer und lassen sich im wahrsten Sinne des Wortes abschleppen oder auch mal vor die Massagedüse drücken. Deren Ehrgeiz wiederum scheint hauptsächlich darin zu bestehen, ihre Nilpferdfrauen durchs Wasser zu ziehen und wahlweise Kaffee, Bier, Schokokekse oder freie Wasserbettenplätze zu jagen. Vielleicht ist auch nur irgendwas im Chlorwasser, aber so viel geballte Glückspärchi-Harmonie bekommt man in keiner langen Einkaufsnacht in keiner Shopping Mall der Welt zu sehen, im Gegenteil. Abends gehen wir ins hoteleigene Restaurant Frankenstein, wo Chéri ein australisches Flankensteak verzehrt und ich ein vegetarisches Asia-Nudelgericht, Doing Gender auch hier.
An Tag zwei spiele ich mit dem Massageprospekt und dem verwegenen Gedanken, mir wahlweise eine Kopf- oder eine Rückenmassage zu leisten, und weil ich mich nicht entscheiden kann, ob ich eher der verkopfte oder der verspannte Typ bin, suche ich den Maestro höchstselbst auf, um ihn zu fragen, was denn so das Richtige sei bei meiner hochsensiblen und -speziellen Konstitution. Der Maestro, Wolfgang, sieht genauso aus wie im Prospekt: verstrahlter Hippie mit Schnauzbart, Knochen-Muschel-Kette und rosa Lotusblütenhemd. Mit verwirrenderweise italienischem Akzent meint Wolfgang, heute gebe es nur noch zwei Termine, und die seien Lomi Lomi und doppelt so teuer, aber morgen sei dann alles wieder normal. Das sind doch mal Sorgen! Ich verschiebe das Schmankerl auf den morgigen Tag, bis dahin kann ich dann auch noch in Ruhe darüber nachdenken, was das vorherrschende Problem ist, meine Verkopft- oder Verspanntheit.
„Wie wär’s denn mit denen?“
Nach zwei Tagen exzessiven Vor-uns-Hinschrumpelns und Mit-den-Zehen-Wackelns wird es an Tag drei Zeit, sich neuen Herausforderungen zu stellen, und wir machen uns auf nach Piperach City, Städtchen anschauen und Souvenirs für die Brut ergattern. Außerdem braucht Chéri Schuhe, und ich brauche keine zwei Minuten, um überzeugend die Mutternummer zu machen: „Wie wär’s denn mit denen?“ Als direkt im Anschluss „Probier doch mal die!“ aus mir herausbricht, setze ich mich schockiert weit weg und denke an Horny Tawny, die mir einst riet, für jeden gekauften Kinderschuh ein Bier zu trinken und zwar noch im Laden. Wir starten einen zweiten Versuch in einem weiteren Laden, und als Chéri den ersten Schuh anprobiert und ich allen Ernstes „Lauf doch mal ’ne Runde!“ sage, verziehe ich mich ebenso erschüttert wie unaufgefordert in die Damenabteilung, wo ich mir anstelle der geplanten Kopf-oder-Rücken-Massage zwei Paar Blümchen-Sommerschlappen rauslasse. Abgesehen von der akuten Deeskalation deucht mir auch der Entspannungseffekt ein deutlich langfristigerer. Chéri findet überraschenderweise auch ohne mich und meine mütterliche Unterstützung zu neuem Schuhwerk, und dann ist es auch schon wieder Zeit fürs Mittagessen. Nach all den Strapazen der Real World kehren wir zurück in den sicheren Mikrokosmos des Sauberbergs mit seinen Honigmatschesalzaufgüssen, Wasserbetten und Nilpferdbecken. Die Andenken habe ich vollkommen vergessen.
Aber Tag vier ist auch noch ein Tag, und an diesem wackeln wir noch kurz in die ans Quarkhotel angegliederte Sinn-Welt, wo ich schließlich Drehorgeln und Himbeerbonbons für Hotti und Lotti sowie fünfhundert Gramm Sinn für mich erstehe. Was wir ihnen außerdem mitbringen, sind zwei praktische Schilder mit der Aufschrift „Bitte Zimmer aufräumen“, die ich ihnen bei Bedarf an ihre Türklinken hängen kann. Erschöpft von dieser weiteren Erledigung, machen wir ein letztes Mal die Nilpferdnummer und fliegen dann zurück in die Welt der Arbeit, der Kinder und der Kleidung. Mein persönliches Fazit: Nieder mit den Shopping Malls, Heustadel für alle!