Der große Tag (Teil 2)

Tauschbörse im Krankenzimmer: Pralinen gegen Zeitung.

Heute wird geschnippelt: Doc Huhn und Frau Dr. Bär werden – brusterhaltend – den Drecksack final plattmachen und dem Pathologen zur Untersuchung auf den Seziertisch legen. Bevor sie das tun, gibt es allerdings noch ein paar Kleinigkeiten zu erledigen. So klebt man mir erst einmal ein Plastikbändchen mit meinem Namen und Geburtsdatum um das Handgelenk, damit ich am Ende nicht mit jemand anders verwechselt werde und zum Beispiel auf der Neonatologie lande. Nach dem Corona-Schnelltest beziehe ich die königlichen Gemächer, die ich mir mit einer recht betagten Dame teile: „Ich bin 87 und bekomme jetzt noch Krebs – das muss doch echt nicht sein!“ Da hat sie verdammt Recht.

Dr. Seppl nervt

Als nächstes geht es in die Nuklearmedizin, wo mir zur Markierung meiner Wächterlymphknoten, die bei der heutigen Operation ebenfalls das Zeitliche segnen werden, radioaktives Technetium an vier Stellen in die Brust injiziert wird. Das ertrage ich noch verhältnismäßig stoisch und tapfer, aber als der junge und vollständig empathiebefreite Dr. Seppl ein ums andere Mal lange, dünne Drähte in meine – glücklicherweise lokalanästhesierte – Brust hineinschiebt, um das OP-Areal zu markieren, und dies nicht gleich funktioniert, verliere ich die Fassung. Nach jedem weiteren Versuch von Dr. Seppl wird eine Mammografie gemacht, was irgendwann wahrhaftig wehtut, meine Brust ist blutverschmiert, ich bekomme Angst vor der OP, fühle mich entwürdigt und bin gnadenlos im Unterzucker. Der Typ geht mir inzwischen richtig auf die Nerven, mir wird schwindelig und ich muss heulen, was mich obendrein noch maßlos ärgert.

Asymmetrie im Sport-BH

Doch auch diese Schmach geht vorüber. Zurück in meinem Zimmer werfe ich mich ins Flügelhemd, hänge mein Krönchen ans Bettende und lasse mich in den OP-Saal schieben, wo ich wieder Angst vor allem bekomme, insbesondere vor dem anstehenden Kontrollverlust, da helfen auch vorgewärmte Socken und Decken, fürsorgliche Pfleger*innen und die Aussicht auf einen final entfernten Drecksack nichts. Zu guter Letzt sickert die Narkose durch, Doc Huhn redet beruhigend auf mich ein, bis alles warm und schwummrig wird und mir die Augen wegrollen.

Am nächsten Tag werden meine nun doch recht asymmetrischen Brüste ausgewickelt. Ich nehme beruhigt die kleinen Schnitte zur Kenntnis, steige in meinen neuen Sport-BH, den ich in den folgenden vierzehn Tagen und Nächten außer zum Duschen nicht verlassen werde, absolviere ein Interview mit zwei putzigen Hebammenschülerinnen und bekomme eine Reha-Beratung vom Sozialdienst sowie Übungsanleitungen von der Physiotherapeutin. Nachdem meine Zimmernachbarin und ich uns noch schwesterlich ihre Zeitung und meine Pralinen geteilt haben, entlasse ich mich samt Lymphdrainage und Wackelbeinen auf eigenen Wunsch nach Hause. Chéri empfängt mich mit Blumen, Hotti und Lotti warten mit einer blitzblanken Küche auf, und Tante Gloria fragt per WhatsApp: „Liebe aktuelle, hoffe, Du hast es gut geschafft und dir eine schöne runde Titti machen lassen.“ Ja, danke, das habe ich!

Mission completed

Am Tag darauf fährt mich die Huberin zu meiner Hausärztin, Madame Françoise, um dort, wie von der Klinik angeraten, die Lymphdrainage entfernen zu lassen. Madame Françoise fällt aus allen Wolken, da sie so etwas noch nie gemacht hat und zudem findet, dass das in den Aufgabenbereich der Klinik gehöre. Sie zieht ihre Kollegin hinzu, diese ist jedoch ebenso überrumpelt. Aber da die beiden Ärztinnen der Huberin und mir nicht noch eine Weiterfahrt in die Klinik zumuten wollen, atmen sie ganz tief durch, empowern sich gegenseitig und ziehen ihre erste Drainage. Nach diesem Abenteuer brauchen vier alle eigentlich einen Schnaps.

Eine Woche nach der Operation ruft Doc Huhn an, um mir den Befund des Pathologen mitzuteilen: Erstens wurde der Drecksack vollständig entfernt (6,1 x 5,1 x 4,7 cm), zweitens wurden keine weiteren vitalen Krebszellen darin gefunden – Komplettremission! Damit habe ich eine sehr gute Prognose, im Gegensatz zum Drecksack, dem wir alle gezeigt haben, wo die Wurst steht, und der nun mausetot in irgendeinem Reagenzglas oder auf dem Krankenhausmüll vor sich hin rottet – für ihn der einzig wahre place to be. Go to hell – und lass dich hier nie wieder blicken!

Ironiefreies P.S.: Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich erlebe das Personal der Lingendinger Frauenklinik insgesamt als äußerst zugewandt und kompetent und fühle mich dort sehr gut aufgehoben. Die von mir negativ (oder fragwürdig) dargestellten Figuren stellen vereinzelte Ausnahmen dar.

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