Herzgrippe II – eine Umfrage

Mein Lover Lancelot, der Ritter von der Blauen Brücke, definierte kürzlich Verliebtsein als psychische Sucht. Die Sucht nach dem/der anderen, ohne den/die man eben gerade nicht leben kann. Man jagt durch die Straßen und sucht nur eins: seinen Stoff. Fand ich diese Definition zunächst grenzwertig, weil zu sehr im Drogenmilieu verhaftet, muss ich jetzt, nach 32 Tagen Herzgrippe und Durchdiestadtjagens, meine Meinung revidieren und Lancelot beipflichten: Verliebtsein ist eine Sucht, und um seinen Stoff zu bekommen, tut man prinzipiell alles, vor allem aber macht man sich zum Deppen, und zwar zum letzten.

Best of Balzpraxis

In Herzgrippe I erwähnte ich bereits die kognitiven Ausfälle und kommunikativen Aussetzer, denen man als Verliebte*r so ausgeliefert ist. Für eine*n selbst sind das Abgründe der totalen Entblödung, eine Schneise der Demütigungen und Peinlichkeiten, die, gepflastert mit Fettnäpfchen, auf direktem Weg in die Hölle der Selbsterniedrigungen führt, es ist erbärmlich. Von außen betrachtet entbehrt das Ganze jedoch nicht einer gewissen Komik, und das Schöne ist ja, dass das Verliebtheitsprinzip ein äußerst demokratisches ist: Wer verliebt ist, wird blöd, egal wie alt, wie jung, wie arm, wie reich, wie schön, wie schlau, wie dick, wie doof.

Für Euch, liebe Wunderbra-Gemeinde, habe ich weder Mut noch Mühen gescheut und bin höchstselbst ins Feld gezogen, habe mich eigenherzig verliebt, habe damit die letzten Tage, Wochen sowie die Nerven meiner Freundinnen ruiniert und darüber hinaus noch eine repräsentative Umfrage unter ehemals und akut Betroffenen gestartet, nur um für Euch zu dokumentieren, zu welchem Schwachsinn Verliebte fähig sind. Hier nun ein Best of aus der eigenen und fremden Balzpraxis.

Man treibt sich auf Plätzen herum, an denen man aber auch rein gar nichts verloren hat – außer das Haus der Angebeteten. Man geht plötzlich auf dem Markt einkaufen und schleift die Kinder mehrmals wöchentlich in die Bücherei, nur weil ER ums Eck wohnt. SIE klappert täglich mehrmals Handy, Anrufbeantworter, Briefkasten, E-Mail und den eigenen Blog nach kleinsten Lebenszeichen von IHM ab, während ER auf dem Weg zum Baumarkt Ausschau nach IHR hält, schließlich könnte sie gerade heute einen Spaziergang an der großen Hauptverkehrsstraße machen. Am Telefon wählt SIE seine Nummer, ohne den Hörer abzunehmen, starrt auf den Display und zählt die Sekunden (11), bis die Nummer wieder verschwindet. ER rennt nachts durch Kneipen und sucht SIE, obwohl ER weiß, dass SIE längst schläft, während SIE zeitgleich durch die Stadt läuft und IHN sucht, obwohl SIE weiß, dass ER in seiner Lieblingskneipe sitzt. SIE beißt sich lieber den Daumen ab, als zu früh auf SEINE SMS zu antworten und stirbt, wenn SIE vier Stunden keine Antwort von IHM bekommt. Die Nachrichten auf ihrem Anrufbeantworter von IHM kann sie schon lange auswendig, mittlerweile sogar in seiner Stimmlage. Man ist besessen.

Telefonmadness, Mix-Tapes und Baggern 2.0

Weitere Spielarten des Telefonirrsinns: SIE ruft IHN dreißig Mal am Tag an und legt immer wieder auf, eine andere SIE ruft von morgens bis abends bei IHM an und nimmt ein ganzes Tape damit auf, wie er sich meldet. Und, ein Klassiker: Man verbringt STUNDEN vor dem Telefon und beschwört es, endlich zu klingeln, kontrolliert den Stecker und lässt Freundinnen zur Probe anrufen, nur um sicher zu gehen, dass es nicht kaputt ist, bevor man es schließlich zu Brei haut. Scheint ein weiblicher Favorit zu sein. ER dagegen glänzt durch Mix-Tapes (80er), CDs (90er) und Sticks (00er), die er für SIE aufnimmt, unter Jüngeren werden, so habe ich mir sagen lassen, nur noch die Facebook- oder MySpace-Seiten der Holden vollgepostet (10er). Eine Freundin von mir mutierte jüngst von der erklärten Internetfeindin zur ausgesprochenen Online-Süchtigen – seit sie sich bei Parship.de ihre tägliche Dosis Serotonin abholt: Baggern 2.0.

Etwas traditioneller: ER rennt täglich in die Institutsbibliothek, weil SIE die schnuckelige Aufsicht ist, in die ER schon seit drei Semestern verliebt ist, ohne dass SIE IHN je eines Blickes gewürdigt hätte. Ein anderer ER liest gar ein Buch, um SIE zu beeindrucken, SIE dagegen backt, zum ersten, einzigen und letzten Mal in ihrem Leben, einen Kuchen für IHN. In der Vorweihnachtszeit basteln sich beide selbstverständlich gegenseitig Adventskalender. Zusammen mit der besten Freundin himmelt man den Typ aus der Oberstufe an, knüpft drei Freundschaftsbändchen, knotet zwei um die Handgelenke von sich und der Freundin und eins um den Mofa-Auspuff des Oberstufengottes. Es ist grotesk.

Mutbier und blutige Beine

Man schreibt drei Wochen lang jeden Tag einen Brief an IHN, obwohl man weiß, dass ER gerade im Urlaub ist. Man sitzt bis um drei Uhr morgens in der WG-Küche, um auf die Heimkehr des Prinzen zu warten, und fällt vor Müdigkeit fast vom Stuhl, nur um IHM, wenn er dann auftaucht, zu sagen, dass man einfach nicht schlafen könne. Auf der Party shakert SIE mit allen bis auf IHM, während ER so viele Mutbiere kippt, bis ER SIE zu fortgeschrittener Stunde nur noch mit dem letzten Müll vollquatscht. Spielchen. Man hört auf, die Bettwäsche zu wechseln, weil ER darin geschlafen hat, erklärt SEIN Duschhandtuch zum Fetisch und informiert sich im Internet über SEINEN Lieblingsfußballverein, obwohl SIE mit Kicken noch nie irgendetwas am Hut hatte. SIE sortiert ihre rosa Schlabberunterhosen im Schrank nach hinten, ER bekommt von seiner WG Boxershorts mit dem Aufdruck Testsieger geschenkt.

SIE überlegt, ob sie sich noch vor dem Date mit IHM die Haare mit Henna färbt. Vorteil: Man sieht gut aus. Nachteil: Man stinkt, besonders, wenn man schwitzt. Sicher ist: Beine rasieren. Man möchte es besonders gründlich machen und zieht sich daher mit der nagelneuen Rasierklinge Ladykiller die Haut von der Ferse bis zum Knie ab. Eigentlich wäre man reif für die Notaufnahme, aber: ER wartet. Und in einem Anfall maßloser Selbst- und Fremdüberschätzung schleppt man in seinem rosa Täschchen sage und schreibe acht Kondome mit zum ersten Date – man kann ja nie wissen!

Wie heißt eigentlich der Papa von Marie??

Man quetscht das eigene Kind nach dem Vater von Marie aus und geht plötzlich wahnsinnig gerne zu den Bastelnachmittagen im Kindergarten. Elternarbeit? Macht doch Spaß!! SIE organisiert sich einen Babysitter für das nächste Wochenende, nur falls ER anrufen und ein Date ausmachen wollen KÖNNTE. Man gibt grundsätzlich die falschen Antworten, weil man die Fragen sowieso nicht verstanden hat, und wenn die Kinder betteln: „Bitte Mama, dürfen wir ganz viele Süßis vor der Glotze essen, Killerspiele zocken und morgen im Bikini in die Schule?!“, erwidert man lächelnd: „Natürlich, Liebling, aber um acht bist du zu Hause!“

Es ist so absurd. Es ist so albern. Es ist so putzig. Zumindest von außen.

P.S.: Ein herzlichstes Dankeschön geht natürlich an alle Beteiligten!

P.P.S.: Das alles gilt natürlich auch für LGBTQIA*, allerdings lagen mir keine diesbezüglichen Interviewdaten vor. Dürfen gerne ergänzt werden :).

5 Kommentare

  1. Liebe aktuelle,
    habe von meinem letzten Ausflug in die Abgründe der Herzgrippe Folgendes zu berichten: Ja, man lauert, an allen möglichen und unmöglichen Plätzen, nur um in der Welt des Begehrten irgendwie präsent zu sein. Unmögliche Plätze sind zum Beispiel überfüllte Konzerte, wo man einfach weiß, dass man eher eine Panikattacke bekommt, als sich auch nur einen Moment wohlzufühlen, während einem Radau um die Ohren bläst, den das Gehirn schon in den ersten fünf Minuten als Belästigung identifiziert. Aber man hält aus, trinkt ein Notfallbier nach dem anderen, in der unsterblichen Hoffnung, es würde sich alles irgendwie zum Guten wenden. Oder man foltert sich mit dem Besuch von Vorträgen über die fragwürdige Omnipotenz von Pippi Langstrumpf und scheut auch das Gespräch mit meiner Meinung nach sehr depressiven Männern nicht, die von sich behaupten, dass sie alle Unterdrückermerkmale (Weißer, Mann und Deutscher) in sich vereinen, und es deswegen auch ok wäre, sich einfach ne Kugel in den Kopf zu schießen. Und das macht man so lange, bis man die Tatsache nicht mehr schönträumen kann, dass es einfach nix bringt, sondern nur demütigend ist. Leider dauert das so lange, wie’s halt dauert, aber darauf ist Verlass :-). Irgendwann kommt der Punkt, wo man sich sehr heilsam fragt, ob man eigentlich noch alle Latten am Zaun hat. Und ab diesem Punkt setzt der Prozess ein, der das Ganze in eine Geschichte verwandelt, die man irgendwann schmunzelnd weitererzählen kann.

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