Erwachet!

Kurz nach Jahresbeginn ziehe ich einen handbeschriebenen Umschlag aus dem Briefkasten. Eine Briefmarke klebt nicht darauf, stattdessen steht da #PORTO CHOE7C3P. Weder sagt mir der Name der Absender*innen (Familie Hick-Hack) etwas, noch kenne ich jemanden in der Stadt, aus der sie kommen. Freudig erregt öffne ich den Briefumschlag – am Ende womöglich Fanpost aus Schloss Lichtenschwein? Doch ab Zeile drei wandelt sich die Neugier in eine wilde Mischung aus Zorn, Belustigung, Mitleid und Fassungslosigkeit: Was zur Hölle?! Hier der Brief im Wortlaut, die Namen wurden von der Redaktion geändert:

Sehr geehrte Frau aktuelle,

zusammen mit unseren Kindern Schnick (6) und Schnack (1) sind wir die Familie Hick-Hack und verbringen unsere freie Zeit gerne damit, anderen Menschen den praktischen Wert der Bibel näherzubringen. Deshalb schreiben wir in der aktuellen Situation an Adressen aus dem öffentlichen Telefonbuch [Memo an mich: Eintrag im Telefonbuch entfernen lassen].

Ein bewegtes Jahr liegt hinter uns, zum Teil mit ganz neuen Herausforderungen [wem sagen die das?]. Das heißt natürlich nicht, dass die alten Probleme plötzlich verschwunden sind – weder persönlich noch global. Natürlich wünschen wir uns bessere Zeiten [das würde ich an deren Stelle grundsätzlich]. Wenn Sie die Macht dazu hätten, welches Problem würden Sie zuerst lösen? [Ganz klar: die menschliche Dummheit beseitigen.]

Viele fragen sich da, ob Gott unsere Probleme sieht, ob es ihn wirklich gibt und ob er einmal etwas unternehmen wird [und ob er überhaupt ein Mann ist]. In seinem Wort versichert er uns:

„Ich weiß ja, was ich für euch im Sinn habe“, erklärt Jehova*. „Frieden und nicht Unglück. Ich möchte euch eine Zukunft und eine Hoffnung geben.“ (Jeremia Kapitel 29, Vers 11)

Die gute Botschaft: Gott sieht, was wir durchmachen, er hilft uns gerne und er hat versprochen, eines Tages für die Lösung aller Probleme zu sorgen! [Blühende Landschaften!]

Aber warum ist diese gute Botschaft heute schon so wichtig? Gerne können wir das auf Grundlage der Bibel besprechen [ohne mich].

Melden Sie sich gerne, per Post, per Mail, per Telefon.

Mehr Infos finden Sie auch jederzeit auf der offiziellen Website von Jehovas Zeugen: JW.org

Herzliche Grüße

Familie Hick-Hack

*Jehova ist laut der Bibel der Name Gottes

Bei einem winterlichen Kaffeekränzchen im Garten sinnen Dr. Sprite, Chéri und ich über eine adäquate Reaktion nach. Dr. Sprite schlägt vor, Familie Hick-Hack eine ausufernde Liste mit absurden und perversen Fragen zu schicken, damit sie eine Weile beschäftigt und so geschockt sind, dass sie unbescholtene Bürger*innen vorerst in Frieden lassen. Chéri dagegen favorisiert einen gefakten Anwaltsbrief mit Abmahnung und Zahlungsaufforderung inklusive meiner Kontonummer. Die zündende Idee hat schließlich Lotti, die jüngst in der Schule die verschiedenen Sekten, inklusive der Zeugen Jehovas, als Thema hatte. Sie liest den Brief und meint: „Schreib einfach ‚LOL‘ zurück.“ Auf meine Frage, ob das wohl eine von der Sekte auferlegte Strafarbeit sein könnte, meint sie nur: „Quatsch, denen ist fucking langweilig wegen Lockdown. Die können ja gerade nicht missionieren gehen.“ Außerdem stellt sie wegen der fehlenden Briefmarke die Theorie auf, dass die Post womöglich von den Zeugen Jehovas unterwandert sei: „Und immer, wenn die dann Hashtag PORTO sehen, wissen die: ‚Yo, das schicken wir einfach kostenlos weiter!‘“. Das geht mir dann doch ein bisschen zu weit, aber ein „LOL“ wird Familie Hick-Hack sicher von mir bekommen. Darüber können sie dann eine Weile nachdenken. Vielleicht zeichne ich sicherheitshalber noch ein Pentagramm drum herum, quasi als satanistisch-postalischen Bann, damit sie mich garantiert nie wieder behelligen. Als erstes werde ich mich jedoch aus dem Telefonbuch streichen lassen. Wer weiß, wer sich sonst noch alles bei mir meldet. Am Ende wird es den Scientologen lockdownbedingt auch irgendwann langweilig, und John Travolta und Tom Cruise stehen vor der Tür, um mir ihre verquere Sicht der Dinge darzulegen. Da habe ich aber echt Besseres zu tun.

5 Kommentare

  1. Hallo zusammen,
    1. womöglich ist Zeugen-Jehovas-Abmahnen tatsächlich eine lukrative Einnahmequelle! Ich werde noch mal in mich gehen.
    2. Die OP verlief ganz wunderbra, Doc Huhn und Frau Dr. Bär haben – nicht zuletzt durch Euer aller mentale Unterstützung – Großartiges vollbracht. Nun liege ich mit Katze auf dem Sofa, lasse mich vom Personal verwöhnen und schreibe den nächsten Blogartikel: „Der große Tag“.
    Bis bald und allerherzlichste Grüße
    Eure aktuelle 🙂

  2. Wow, sehr treffend analysiert, ich habe mich sehr amüsiert 🙂 Danke für das Lachen am Morgen:-))
    Übrigens wäre ich auf der Seite von Chéri, belästigende Werbung kann mit bis zu 300.000€ Bußgeld belegt werden. Belästigend ist es z.B. dann, wenn ausdrücklich auf dem Briefkasten steht: keine Werbung!
    viele liebe Grüße

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