Abgesehen von unzähligen sportiven, entspannenden, rehabilitierenden und sonstigen Anwendungen ist eine Anschlussheilbehandlung ja eher eine recht reizarme Veranstaltung. Umso aufregender ist es, als Koala (65) und Timotei (60), eine weitere AHB-Patientin, mich (46) fragen, ob ich Lust habe, das Abendessen im Klinik-Restaurant gegen ein gemeinsames Picknick einzutauschen. Ich bin sofort dabei, entschuldige mich aber, so spontan nichts zum Outdoor-Buffet beitragen zu können. Kein Problem, sagt Koala, Timotei und sie seien auf dem Markt gewesen und bestens ausgerüstet, auch für drei Personen. Nichtsahnend treffe ich mich also am frühen Abend mit den beiden Damen vorm Eingangsbereich, und wir laufen los. Ich gehe davon aus, dass wir uns für unser Picknick auf unserem Hausberg neben einer Kuhweide niederlassen, einmal über die Straße, vis-à-vis der Onko-Klinik, allein die beiden verfolgen offensichtlich andere Pläne und biegen in die entgegengesetzte Richtung ab, die Rede ist immer wieder von einem Dörfchen namens Schweiler. Da ich eingeladen bin, wage ich es nicht, Einwände zu erheben, und ehe ich es mich versehe, befinde ich mich auf einer längeren Wanderung, weg vom Hausberg, den Kühen und meiner Komfortzone.
Wie lange noch…? Ich muss mal…!
Nach etwa fünf Kilometern gibt es dann tatsächlich das versprochene Picknick. In Ermangelung eines idyllischeren Plätzchens breiten wir unsere Jacken auf einer Wiese mit Kuhfladen aus, direkt unter einem gigantischen Strommast, und machen es uns gemütlich. Die beiden haben tollen Käse, eine Hartwurst, Tomaten, Brötchen und andere leckere Sachen dabei, die sie kollegial mit mir teilen, wir genießen den Blick auf die Alpen, und es ist auf jeden Fall lustiger und abenteuerlicher als das Abendessen in der Klinik. Ich mutmaße, dass wir nach dem Essen wieder nach Hause gehen, aber die beiden packen zusammen, und wir wandern weitere zwei Kilometer gen Schweiler. Endlich angekommen, schauen wir uns ein bisschen den Weg zur Schmausbachklamm an, suchen die öffentliche Toilette auf und stellen fest, dass ab 19 Uhr kein Bus mehr nach Schneckeck fährt und wir wohl oder übel zurücklaufen müssen. Während Koala und Timotei damit keinerlei Problem haben, sinke ich innerlich zusammen. Meine Knie schmerzen, ich bin schrecklich schlapp und will nicht mehr laufen, aber als mit Abstand Jüngste im Bunde ist es mir zu peinlich, damit herauszurücken.
So kehren wir erst einmal im zentralen Biergarten ein, trinken ein Radler, und nach fünf Schlucken habe ich mir genug Mut angetrunken, um den beiden Damen zerknirscht mitzuteilen, dass ich unmöglich die sieben Kilometer zurücklaufen könne und mir daher ein Taxi bestellen würde. Die beiden sind jedoch viel zu wohlerzogen, um mich in der Schnallgäuer Einöde zurückzulassen, und versuchen, leider erfolglos, ein Taxi zu bestellen, so etwas fährt hier nicht an einem Freitagabend. Also werfe ich, wo wir schon bei Abenteuern sind, waghalsig folgenden Vorschlag in den Ring: „Wir trampen!“ Timotei unkt, dass das niemals funktionieren werde, was wiederum meinen Kampfgeist weckt. Wir laufen los, ich halte den Daumen raus und schenke den entgegenkommenden Fahrer*innen mein bezauberndstes Lächeln. Das erste Auto fährt vorbei, das zweite, dritte, zehnte, wir laufen und laufen, ich halte den Daumen immer weiter raus, das Lächeln gefriert mir im Gesicht – nichts.
Na – wo soll’s denn hingeh’n?
Timotei triumphiert schon fast, als es mir zu guter Letzt gelingt, einen gepflegten jungen Mann Anfang zwanzig in einem protzigen Riesenschlitten anzuhalten. Er fährt rechts ran, lässt das Fenster herunter und stellt uns todernst die Frage, über die wir noch Tage später nicht hinwegkommen: „Sind Eure Schuhe sauber?“ Wir sehen erst uns an, dann ihn, dann unsere Wanderschuhe, nicken eifrig und steigen ein. Hätte ich mit Anfang zwanzig drei ältere Herren mitten in der Pampa am Straßenrand aufgesammelt, hätte ich diese zunächst wahrscheinlich gefragt, wo es denn hingehen sollte, und womöglich – spaßeshalber –, ob sie unbewaffnet wären. Hätte es in den 1990er-Jahren zudem eine Pandemie gegeben, hätte ich vielleicht auch noch wissen wollen, ob sie geimpft wären, und sie gebeten, ihre Masken aufzusetzen, aber ganz sicher wäre mir nicht im Traum die Frage nach sauberen Schuhen in den Sinn gekommen, zumal diese niemals hätten schmutziger sein können als mein damaliger Polo. Die Jugend von heute ist offenbar gepflegter, als wir drei dirty old women jemals waren. Und so erzählt uns der junge Mann, der auf keinen Fall Geld von uns annehmen will, dass er gerade von seiner ersten Corona-Impfung komme, und setzt uns brav beim Hintereingang unserer Onko-Klinik ab. Timotei wirft dem Jungspund beim Aussteigen dennoch einen Zehner ins Cockpit, bevor er in seiner gewienerten Riesenkarre davonbraust, hinein in seine saubere Zukunft.
Impressionen einer Reha-Klinik:
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Beeindruckende Fotos von der Klinikwelt, vor allem der afrikanische Abend ist unglaublich.
Lieben Gruß von Antje
Absolut! Ja, die Zucchinis und Melonen waren der Hammer, echte afrikanische Schnitzkunst. Tatsächlich haben sie sich beim Kochen an dem Abend sehr viel Mühe gegeben, zumindest mehr als sonst…
Liebes Schneckchen, daran erinnern wir uns noch im Altenheim 😂. Liebe Grüße von Koala
Unbedingt – und unsere dreckigen Stiefel lassen wir dann vom Zivi/Pflegeroboter putzen!
Herrlich. Aber sag mal, diese „Nicht-Pissoirs“ – was soll das?
Danke! – Ja, eine berechtigte Frage. Wenn man genau hinschaut, entdeckt man Metallplatten an den Innenwänden. Da kommt Strom drauf und – zack – funktioniert deine Durchblutung besser! Und die Polyneuropathien gehen zum Teufel. Liebe Grüße!