Urlaub in Schafhausen

Gönn Dir!

Nach den Zumutungen des vergangenen Jahres ist mein Bedürfnis nach einer gebührenden Wiedergutmachung ausgesprochen groß. Die Erstgeborene hat unser königliches Zuhause vorläufig verlassen und ist für ein Freiwilliges Soziales Jahr in die Marseillaise gezogen, die Zweitgeborene weilt mit einer Freundin und deren Familie an der bretonischen Atlantikküste, der amouröse Haussegen könnte durchaus gerader hängen und meine berufliche Wiedereingliederung steht unmittelbar bevor. Zudem bin ich nach wie vor hochgradig beleidigt mit dem Leben als solchem, welches es allen Ernstes gewagt hat, mich mit einer Krebserkrankung heimzusuchen. Alles geht mir auf den Geist, ich muss hier raus. Extreme Zeiten erfordern extreme Maßnahmen, und so tue ich etwas in meinem Leben bisher Einmaliges: Ich buche einen Urlaub ganz für mich allein!

Hals über Kopf organisiere ich mir eine der letzten Ferienwohnungen an der Nordsee in Schnarching auf der Halbinsel Schneiderschneck samt Zugfahrt einmal durch die Republik – sieben Tage nur für mich! Dabei male ich mir aus, wie ich mit Schafen über Deiche reite, mit ihnen Muscheln sammle, Fischbrötchen esse und Grog trinke. Ich werde niemanden außer mir selbst versorgen und den lieben langen Tag machen, was ich will, goldene Zeiten, blühende Landschaften! Als ich der Brut von meinen Plänen berichte, meint Lotti anerkennend: „Ey – gönn Dir!“ und Hotti: „Heeeyy – Slay Queen!!“ Ich google, was das bedeutet, danach habe ich den Eindruck, beruhigt fahren zu können.

Nordisch by Nature

Angekommen auf Schneiderschneck, breite ich mich hemmungslos in meinem Appartement aus, inhaliere inbrünstig Seeluft, feiere die himmlische Stille und schmiede hedonistische Pläne für die kommende Woche im Paradies. Die hiesigen Ortschaften tragen klangvolle Namen wie Krempel, Welt, Witzwort, Schimmelhörn, Poppenbüll oder Kotzenbüll und warten mit entzückenden kleinen Sehenswürdigkeiten auf, sie alle wollen bereist und gesehen werden. Und so starte ich am nächsten Tag euphorisch durch, fahre zunächst an den unendlich weiten Strand mit seinen herrlich weißen Dünen, bummle durch das Städtchen, futtere Fish & Chips sowie Waffeln mit Eis, Zwetschgen und Sahne und schicke Bilder in unsere Familiengruppe. Am zweiten Tag besuche ich die kleine Insel Schnellwurm, auf der unzählige Schafherden auf den Deichen grasen, blöken, hoppeln, liegen, herumstehen und undurchsichtige Pläne schmieden. Mit einem gemieteten Fahrrad radle ich mitten durch die Herden und umrunde so die gesamte Insel, fotografiere und filme Schafe, die auf Menschen starren, esse Fisch und Kuchen, denke, dass ich den schönsten Ort der Welt gefunden habe – und schicke Bilder in unsere Familiengruppe.

Am dritten Tag miete ich mir in Schnarching beim Schneiderschnecker Fahrradengel ein Rad für die kommenden Touren auf der Halbinsel. Der Fahrradengel ist ein wortkarger Friese um die Fünfzig, der nur am Ende unseres Deals kurz auftaut: „Wenn de liegenbleibst, rufste an. Dann schlepp ich dich ab.“ Ein Mundwinkel zuckt dabei leicht nach rechts, vermutlich ein friesisches Grinsen. Mit meinem quietschgelben Mietrad radle ich nun durch die Ortschaften mit den klangvollen Namen sowie weitere Schafherden, Deiche hoch, Deiche runter, versenke mein Beleidigtsein mit dem Leben endgültig in der Nordsee, esse Fischbrötchen und Kuchen, fotografiere Schafe, Kühe, Leuchttürme sowie entzückende Friesenhäuschen, schicke die Bilder in unsere Familiengruppe und muss mir eingestehen, dass ich sowohl die Brut als auch Chéri schmerzlich vermisse. So beseelt ich von meiner luxuriösen Auszeit bin, so sehr fehlt es mir, diese großartigen Eindrücke und das Glück mit meinen Herzallerliebsten zu teilen. Ich hätte mit vielem gerechnet, doch damit nicht.

So kommt es, dass sich Chéri nach einer Woche überraschend meinem Solo-Urlaub in Schafhausen anschließt und wir in die gemeinsame Verlängerung gehen. Und dann machen wir alles noch einmal von vorne. Aber diesmal zusammen. Neustart.

Bääähhh!!!

3 Kommentare

  1. Ich hoffe, Ihr habt Euch gut erholt – nach fast 20 Jahren Sommerurlaub in Poppenbüll verstehe ich Dich besser als Du denkst – määäääähääääääh
    Liebe Grüße Deine Birgit

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