Oh là là!

Baguette, Croissant, Café au lait – in etwa darauf beschränkt sich mein doch recht eingerosteter französischer Wortschatz, als Hotti beschließt, ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Marseillaise zu verbringen. Damit ich mir aber, wenn ich meine Erstgeborene in der Fremde heimsuchen werde, keine allzu große Blöße gebe und wenigstens autonom ein Pain au chocolat bestellen kann, melde ich mich directement bei einem Auffrischungskurs in der ortsansässigen Volkshochschule an. Meine onkologischen Behandlungen nehmen allmählich ab, sodass ich – trotz wiederhergestellter Berufstätigkeit – hinreichend Zeit und Raum für ein neues Hobby haben sollte. Darüber hinaus gilt das Erlernen einer Sprache ja als sehr förderlich, wenn man durch eine Chemotherapie die eine oder andere Gehirnzelle eingebüßt und infolgedessen mit verlangsamtem Arbeitsspeicher zu kämpfen hat. Pluspunkte also, so weit das Auge reicht!

Fortan werde ich nun donnerstagabends gepflegte Konversation auf Französisch betreiben. Vor dem ersten Termin besorge ich mir das entsprechende Arbeitsbuch, ein neues Schulheft sowie ein Vokabelheft und bin einigermaßen aufgeregt – oh là là! Die Ernüchterung folgt jedoch recht schnell. Denn die Französisch-Lehrerin, Madame Grammaire, ist eine fahrige und schlechtgelaunte Frau, die den Eindruck erweckt, zu diesem Kurs gezwungen zu werden. Jede Woche kämpft sie aufs Neue mit dem jüngst installierten Smartboard und korrigiert denkbar genervt jeden Aussprachefehler der Teilnehmenden. Diese sind nicht minder schrullig. Der junge Herr Pfau beispielsweise prahlt zu Beginn jeder Stunde damit, seine Hausaufgaben gemacht zu haben, und ruft, sobald er irgendetwas zu wissen glaubt, laut in die Runde. Die pensionierte Frau Stör hingegen fängt unaufgefordert an, ihre Übersetzung irgendeines französischen Textes vorzulesen, wobei ihre Aussprache so grottig ist, dass es mir die Fußnägel hochrollt. Eine andere ältere Dame wiederum nutzt den Sprachkurs, um ihren Mitmenschen ihre Sicht auf Corona und die entsprechenden Begleitumstände darzulegen.

Savoir-vivre geht anders

Trotz dieser widrigen Umstände bin ich zunächst topmotiviert und laufe bald zu Hochform auf. Bereits nach der dritten Stunde kann ich jeder Französin fließend herunterbeten, welche Sehenswürdigkeiten mich in Paris beeindrucken, und darauf hinweisen, dass meine Stadt Lingendingen zwar mehrere Parks und Theater hat, jedoch über keinen Flughafen verfügt. Ich kann souverän nach dem Weg zum Bahnhof fragen, meine Mailadresse buchstabieren und drei Kilo Karotten kaufen. Gut möglich, dass ich damit den anderen Kursteilnehmer*innen genauso auf den Keks gehe, denn nach dem sechsten Termin sitzen wir nur noch zu dritt im Raum: Madame Grammaire, Frau Stör und ich. Die Stimmung sinkt zunehmend. Meine Hausaufgaben mache ich, wie einst zu Schulzeiten, eine halbe Stunde vor Unterrichtsbeginn, und Madame Grammaire beendet die Stunde vorzeitig mit den Worten: „Lassen wir’s gut sein.“

Nach Woche zehn bekomme ich bereits dienstags schlechte Laune, weil übermorgen wieder Donnerstag ist, ich mein Referat über Lyon und seine Stadtentwicklung noch nicht mal angefangen habe und Madame Grammaire ihre diesbezüglichen Erwartungen klar geäußert hatte: „Schauen Sie sich die Sachen an, damit Sie was erzählen können – ich will hier nicht immer die Monologe halten!“ Von wegen Savoir-vivre, so hatte ich mir das Ganze beim besten Willen nicht vorgestellt. Als Chéri und ich uns dann nach sehr langem Hin und Her endlich dazu entschließen können, bei einem Wohnprojekt einzusteigen, dessen Online-Treffen zufälligerweise donnerstagabends stattfinden, schmeiße ich hin. Madame Grammaire – ohne misch, au Renoir!

5 Kommentare

  1. Oh oh.
    Das legt ja fast den Verdacht nahe, als hättet ihr euch vor allem wegen des Französich- Kurses für das Wohnprojekt entschieden. 🧐😇
    Maitenent tu veux parle francais Avec moi?
    Die Huberin

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