Nach einer nicht unanstrengenden Woche inklusive massiver Hirnverspulung, mittelschwerer Herzgrippe, streikender Erzieherinnen in zwei Kinderbetreuungseinrichtungen (gebt ihnen doch bitte einfach ganz viel Geld!!!), kaputtem Auto, Fremdkinderbesuch mit Granateneinschlagseffekten im Kinderzimmer, Elterngespräch in der Schule ist das Letzte, das ich am Samstag gebrauchen kann, ein Rhetorik-Kurs an der Volkshochschule, zu dem ich mich im letzten Herbst in einem Anfall von Selbstoptimierungsdruck und Bildungswahn angemeldet habe. Der Anfall muss sehr heftig gewesen sein, ich habe es nämlich geschafft, auch noch Frau Dr. Sprite mitzureißen und zur Mitteilnahme zu nötigen. Chancen und Risiken einer ausgeprägten Begeisterungsfähigkeit: Gebt mir eine Idee, und ich verkaufe sie!
Wie gesagt, das war letzten Herbst, aber heute morgen ist heute morgen. „Jetzt rede ich – auch mit Lampenfieber!“ und zwar von 10 bis 17 Uhr, ich muss irre gewesen sein. Zum sechsten Mal in dieser Woche zwinge ich Hotti und Lotti ihr Frühstück gefälligst SCHNELL in sich hineinzustopfen, jage sie durchs Bad (LOS! MACH!! ZACKIG!!!) und liefere sie bei den jeweiligen Babysittern ab (Tschüssmeinschatzichhabdichlieb!). Natürlich komme ich zu spät, Sprite sitzt sicher schon entspannt im Seminarraum und fragt sich, wo ich bleibe, hektisch schließe ich mein Fahrrad ab, und als ich mich gerade zum hundertdreiundfünfzigsten Mal an diesem Morgen frage, welcher Teufel mich da bloß geritten hat, biegt Sprite um die Ecke, gehetzt, genervt und übellaunig, mit der Bäckertüte in der Hand, und fragt mich ebenfalls, welcher Teufel uns da eigentlich geritten hat. Bevor wir hineingehen, ringe ich ihr das Versprechen ab, mich bei der nächsten manischen Weiterbildungseuphorie um Himmels Willen aufzuhalten.
Vielleicht doch noch den Folgekurs dranhängen -?
Als Einstieg sollen wir einen Spontanvortrag vor der Gruppe halten. Auf Sprites Nase bilden sich Schweißperlen, ihre Knie zittern, mein Herz rast, unsere Hände werden klatschnass, der Impuls, auf der Stelle den Raum zu verlassen, wird übermächtig. Es hilft nichts, wir müssen da durch bzw. nach vorne. Wie durch ein Wunder überleben wir und dürfen in die Mittagspause. Für die zweite Einheit brauchen wir Socken (Bitte mitbringen!), habe ich natürlich vergessen, Sprite hat welche eingepackt, aber in die falsche Tasche. Sie sagt, der Kurs mache alles noch viel schlimmer und jammert ihren bisherigen Verdrängungs- und Bewältigungsstrategien hinterher, und ich fühle mich unendlich schuldig.
Nach anfänglichen Zweifeln und einer Stunde Körperhaltungs-, Stimm- und Luftballonspielchen packt es uns schließlich. Den nächsten Kurzvortrag mit argumentativer Drei-Schritt-Methode schaffen wir fast mit links und ohne Zittern, ich möchte mich auch nur noch hinter dem Projektor verstecken und nicht mehr gleich gehen. Wir werden euphorisch – wir, die neuen Rhetorik-Queens, wir werden sie alle mit dem klassischen Dreischritt in die Tasche stecken, notfalls auch mit Fünferschritten nachrüsten! HA! Die Moderation bei meinem Porno-Workshop (es ist nicht so, wie es klingt) nächste Woche? Kinderspiel! Vielleicht doch noch für den Folgekurs anmelden?? Abschließend überzeugen Sprite und ich uns gegenseitig mit dem klassischen Dreischritt davon, dass wir das auf keinen Fall tun sollten und verabschieden uns glücklich ins wohlverdiente Wochenende.
Liebe Frau Dr. Sprite, ja, das war tatsächlich knapp! Vielleicht das nächste Mal gleich den anschließenden Entspannungskurs „Reflexzonenmassage nach Weiterbildungsmaßnahmen“ mitbuchen. Nach Angstschweiß rieche ich vermutlich auch gerade, und zwar von oben bis unten, habe den 2063. Durchlauf für die Begrüßungsrede im Porno-Workshop hinter mir: Hallo zusammen – ääähh?! Bitte morgen überprüfen und mich notfalls wiederbeleben…
Am Abend Verspannungs-Kopfschmerzen, T-Shirt und Hände riechen nach dem Angst-Schweiß des Morgens. Habe das Gefühl, dem Worst-Case-Szenario des Vortragens, „Ich könnte sterben“, nur knapp entkommen zu sein.