Urlaub in Münchhausen

Der Urlaub in Schafhausen ist längst Geschichte, ebenso meine berufliche Wiedereingliederung, und der Alltag hat mich wieder. Seit zwei Wochen fröne ich nun nahezu regulär der Erwerbstätigkeit, bringe ärztliche Vor- und Nachsorgetermine unter einen Hut und absolviere weiterhin mein elaboriertes Sportprogramm. Da dadurch jedoch meine Work-Life-Balance ziemlich aus dem Ruder gerät und auch Chéri und Lotti hinlänglich urlaubsreif sind, beschließen wir, Samowar, eine von Chéris 101 Nichten, und ihre Familie in Hopsing, einem Vorort der bavarischen Riesenmetropole Münchhausen, heimzusuchen und bei der Gelegenheit gleich ein bisschen Kulturlaub im Freistaat zu machen.

Fahrnfahrnfahrn auf der Autobahn

Mit im Gepäck haben wir Samson, Chéris siebenjährigen Großneffen, da dessen Eltern aktuell eine kleine Pause mehr als gut gebrauchen können. Auf der dreistündigen Hinfahrt überrascht uns der Kleine dann nicht nur mit Detailwissen zu diversen Autobahnstreckenabschnitten, sondern auch mit seiner Playlist, die er zwar über Kinderkopfhörer hört, jedoch lautstark mitsingt oder -pfeift, und die einiges über den Humor seiner Eltern aussagt: „Bruttosozialprodukt“ von Geier Sturzflug ist ebenso am Start wie „Haus am See“ von Peter Fox, „Probier’s mal mit Gemütlichkeit“ aus dem Dschungelbuch oder eine dreißigminütige Version von „Autobahn“ von Kraftwerk. „Ich habe zwanzig Kinder, meine Frau ist schön“ und „Fahrnfahrnfahrn auf der Autobahn“ schallt es von der Rückbank, und Samson erläutert, dass es sich bei Letzterem um die Remasterversion von 2009 handelt und was genau eine Remasterversion ist.

Tag 1 beschert uns zunächst eine Altstadt-Tour mit Münchhausens bombastischsten Sehenswürdigkeiten. Da ich mich im Vorfeld in die Materie eingearbeitet habe, mache ich den Touri-Guide und erläutere meiner Reisegruppe, was sie zur Linken und zur Rechten sehen. Wir besteigen den Alten Peter, begutachten das Gerippe der Heiligen Munditia und warten gebannt auf das weltberühmte Glockenspiel, zu dem sich Punkt zwölf hunderte von Tourist*innen auf dem Vorplatz des Neuen Rathauses eingefunden haben. Als es endlich losgeht, sind Lotti und ich angesichts des disharmonischen Gebimmels und Gedöngels fassungslos, und Lotti meint, dass es sich anhöre, als würde die 10 d, ihre Klasse, zum Glockenspiel gezwungen werden. Danach gibt es erst mal Pommes auf dem Ritualienmarkt, zum Nachtisch Crêpes – wir sind schließlich im Urlaub!

„Da kann ich einfach nicht Nein sagen!“

Danach geht es ins Deutsche Museum mit seinen 28 Ausstellungen (wir schaffen vier: Bergwerk, Meeresforschung, Astronomie und Pharmazie). Ich bin erschüttert über das Ausmaß meines technischen Unverständnisses und meiner geistigen Begrenztheit, Samson hingegen ist im Paradies. Besonders der Bergbau hat es ihm angetan, nahezu jedes Ausstellungsdetail wird von ihm abgelichtet. Beim 243. Bildmotiv zögert er kurz: „Eigentlich hab‘ ich schon so viele Fotos vom Bergbau – aber bei dem kann ich einfach nicht Nein sagen!“ Mein persönliches Highlight im Technik-El-Dorado ist ein Massagesessel, der einem für zwei Euronen den Rücken durchknetet. Danach gibt es Kakao, Limo, Käffchen und Kekse – es ist schließlich Urlaub.

Tag 2 choreografieren wir genau andersherum: Zuerst geht es ins Kunst-Museum, die Pinakolada der Moderne, in welcher es Samson ergeht wie mir am Tag zuvor im Technik-Museum. Sinn und Zweck von Kunst und Design wollen sich ihm beim besten Willen nicht erschließen; außer dem Ufo-Haus, das vor dem Gebäude steht, fotografiert er kein einziges Objekt. Um ihn noch in die aktuelle Sonderausstellung zu bewegen, stärken wir ihn und uns mit Salamibrötchen, Muffins und Limo, ist ja Urlaub. Danach bummeln wir durchs Univiertel und gelangen schließlich zum weltcoolsten Hipster-Klamotten-Laden, welcher wiederum Lotti in schiere Rauschzustände versetzt; 5000 ihrer an diesem Tag gezählten 13500 Schritte macht sie garantiert alleine auf den drei Ebenen des fancy Achtziger-Jahre-Schuppens. Als anschließend ein Eis ausgelobt wird, erkundigt sich Samson vorsichtig, ob er vielleicht zwei Kugeln haben dürfe, beantwortet sich die Frage aber sofort selbst: „Ach so, klar, ist ja Urlaub!“

Tatort aus Münchhausen

Am dritten Tag geht es wieder nach Hause. Wir verabschieden uns von der entzückenden kleinen Samowar-Familie inklusive Hund, in den Lotti und ich uns unsterblich verliebt haben, und decken uns an der Tankstelle ein letztes Mal mit Pizza und Berlinern (bzw. Krapfen) ein, ist ja noch Urlaub. Inspiriert von Samsons Playlist eskalieren Chéri und ich auf der Rückfahrt bei Hits der Neuen Deutschen Welle wie „Ich will Spaß“ und „Skandal im Sperrbezirk“ und liefern Samson schließlich wieder bei seinen Eltern ab. Chéri gibt ihnen noch den Hinweis, dass der Junge womöglich ein paar Vitamine und eine Badewanne gebrauchen könnte. Und um unserem Trip ins bavarische Ausland noch die Krone aufzusetzen, sendet die ARD zu unserer Heimkehr direkt einen Tatort aus Münchhausen – mei, was wui ma mehr?

10 Kommentare

  1. Eine wirklich schöne Geschichte, ich habe mich köstlich amüsiert, auch über die authentisches Kommentare. Vielen Dank dafür. Ergänzend zum Tatort empfehlen wir zum Nachschwelgen die Serie „Münchhausen Mord“, nachzuschauen über die ZDF-Mediathek. Auch manchmal schwer zu verstehen…

  2. A So a scheene Beschreibung vo oim wos do so is, in Münchhausn.
    Oiso I hob ma denkt, ois i des glesn hab, dass I des ois need so guad kennt hob, ois i do no glebd hab in da neh.
    I dank da aktuöin fia den pfundign Text. Supa!
    Deine Huabarin

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