Empty Nest oder: Alles muss raus! (Teil 2)

Nachdem im vergangenen Jahr zunächst Hotti (Ausbildung in Schleipzig), im Folgenden mein Uterus (verhaltensoriginelle Polypenbildung) und schließlich Lotti (Schafe streicheln in Hottland) das Hause aktuelle verlassen haben, kehrt für drei Stunden unheimliche Stille ein. Doch schon meldet sich Lotti, Minuten nach der Landung in der hottischen Hauptstadt, per Handy und klagt über Ohrenschmerzen des Todes. Eine weitere Stunde später vermeldet sie, ihr Portemonnaie im Bus verloren zu haben. Nach fünf Minuten Ferncoaching taucht der Geldbeutel unter ihrem Rucksack wieder auf und das Kind fährt beruhigt weiter in Richtung ländliche Community.

Der Gipfel der Selbstbestimmung

Fünf Tage später bezieht Chili, Chéris jüngste Nichte, vorübergehend Quartier in Hottis Zimmer. Seit dem Wintersemester tritt sie, Jahrzehnte nach ihrem Onkel, in dessen sozialpädagogische Fußstapfen und stürzt sich von hier aus ins Abenteuer Zimmersuche. Knapp drei Monate, in denen wir uns durch die Adventszeit wichteln und bei sehr viel Tee sehr tiefschürfende Gespräche führen, residiert Chili in unseren Heiligen Hallen, und just, als die zunehmend verstörten Katzen sich vollends an die neue Mitbewohnerin gewöhnt haben, findet diese eine adäquate Bleibe und zieht von dannen.

Und dann bricht eine neue Ära an: Zum allerersten Mal in meinem Leben wohne ich komplett alleine – keine Eltern, keine WG, keine Kinder, nur die Katzen und ich. Me, myself and I. Betrete ich fortan die Wohnung, herrschen Stille und meine (Un-)Ordnung. Sämtliche Dinge befinden sich exakt dort, wo ich sie Stunden zuvor habe stehen und liegen lassen. Auch im Kühlschrank stoße ich ausschließlich auf vertraute Lebensmittel, im Bad hingegen gibt es, nach Jahren einer nicht enden wollenden Rush Hour, plötzlich Platz und Zeitfenster satt. Dementsprechend breite ich mich aus, als gebe es kein Morgen: die Ablage unterm Spiegel? Nur für mich! Die Bank vor der Heizung? Klamottenablage der aktuellen. Haken? Reserviert für meine Handtücher und den Bademantel. Regale? Alle meine! Nie hatte ich sauberer gezupfte Augenbrauen, gepflegtere Finger- und Fußnägel, einen leereren Badmülleimer und weniger Wäsche. Die Krönung der neuen häuslichen Autarkie ist jedoch, dass ich nach zweiundzwanzig Jahren des Zusammenlebens mit Kindern erstmals wieder selbst bestimme, wann ein Toilettengang beendet ist.

Los Wochos: Raum, Zeit, Ruhe, Spa und Geld!

Die nächsten Wochen gleichen einem einzigen Selbstbestimmungsrausch: Neben Raum, Zeit, Ruhe und Spa-Orgien feiere ich das drastisch reduzierte Einkaufsvolumen, exzessive Sauna-, Konzert- und Kinogänge, gesellige Kaffeekränzchen und Mittagessen sowie verlängerte Wochenenden mit und ohne Chéri – los Wochos! Außerdem zeigt sich, proportional zur Länge des Alleinwohnens und zu meiner großen Überraschung, eine geistige Aufnahmekapazität, auf die ich schon längst nicht mehr zu hoffen gewagt hatte. Stundenlang inhaliere ich nicht nur Nachrichten in jedweder Form, sondern lausche zudem ergriffen, angefacht durch meine Kollegin Yogathi, Finanzpodcasts für Frauen und schleife gar Urschula und ihre Freudinnen in ein feministisches Finanzbildungsevent, veranstaltet von der ortsansässigen Greissparkasse. Erstmals in meinem Leben studiere ich ausgiebig den Wirtschaftsteil, spiele mit verwegenen Gedanken bezüglich Vermögensaufbau und vereinbare umgehend einen entsprechenden Beratungstermin. Womöglich wird aus mir doch keine arme alte Oma.

Dies alles jedoch wäre nicht einmal halb so schön, wenn nicht die geliebte Brut mehrmals wöchentlich in ausgiebigen Konferenzen von ihren aktuellen Eskapaden berichtete und mich so an ihrem Leben teilhaben ließe. Im Übrigen steht eine weitere Nestleerung ins Haus: In wenigen Tagen werden Chéri und ich Hottis Seelenzwilling, die Katze LaDünne, nach Schleipzig transferieren, um die beiden nach Jahren der Trennung endlich wieder zu vereinen. Die Abenteuer gehen weiter – auf in eine neue Ära!

2 Kommentare

  1. Los Wochos! Immer wieder großartig! (Ich stelle fest, dass im Kino grade Los Wochos der Biopics sind – hast Du vielleicht schon verbunden.)

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